Tier und Untier

Mir sind noch einmal zwei Stellen untergekommen, die von Katzen reden, und sie müssen den Katzengedichten folgen. Viele Besitzer schreiben ja viel und gern über ihre Katzen, doch auch kreative Geister und Denker schauten ihre Katze an und dachten sich etwas darüber. Die Passagen sind von dem deutschen Philosophen Martin Buber (1878-1965) und dem spanischen Autor Camilo José Cela (1916-2002).

In dem wichtigen Werk Ich und Du (wir werden bald mehr darüber hören!), das 1923 erschien, analysiert Martin Buber das Verhältnis Katze/Mensch. Das sind auch für mich schwierige Sätze, die man mehrmals lesen muss. Der Katze sind diese Überlegungen gleichgültig.

Ich sehe zuweilen in die Augen einer Hauskatze. Das domestizierte Tier hat nicht etwa von uns, wie wir uns zuweilen einbilden, die Gabe des wahrhaft »sprechenden« Blicks empfangen, sondern nur — um den Preis der elementaren Unbefangenheit — die Befähigung, ihn uns Untieren zuzuwenden. Wobei nun aber in ihn, in seine Morgendämmerung und noch in seinen Aufgang, ein Etwas aus Staunen und Frage gekommen ist, das dem ursprünglichen, in all seiner Bangigkeit, doch wohl gänzlich fehlt. Diese Katze begann ihren Blick unbestreitbar damit, mich mit dem unter dem Anhauch meines aufglimmenden Blicks zu fragen: »Kann das sein, dass du mich meinst? Willst du wirklich nicht bloß, dass ich dir Späße vormache? Gehe ich dich an? Bin ich dir da? Bin ich da? Was ist das da von dir her? Was ist das da um mich her? Was ist das an mir? Was ist das?!«
(»Ich« ist hier eine Umschreibung für ein Wort der ichlosen Selbstbezeichnung, das wir nicht haben; unter »das« stelle man sich den strömenden Menschenblick in der ganzen Realität seiner Beziehungskraft vor.)

DSCN3315So also formulieren Philosophen. Schwierig ist das schon, aber man muss bei aller Konzentration auch kritisch bleiben. In meinem kleinen gelben Reclam-Büchlein von 2008 las ich »… unter dem Anhauch meines Blicks aufglimmenden zu fragen …«. Konnte das sein? Nein, das war nicht philosophisch, sondern sinnlos; dieses aufglimmenden ergab keinen Sinn; außer, es wären zwei Wörter vertauscht worden, was im Verlagswesen vorkommen mag. Also berichtigte ich Reclam und Buber. — Schön fand ich die Formulierung, dass Tiere gelernt haben, ihren Blick uns Untieren zuzuwenden. Wenn man das Wort wertfrei betrachtet, bekommt es einen anderen Sinn. Für die Katze bin ich ein Untier: eben kein Tier. Etwas Anderes. Was?

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DSCN4470Camilo José Cela erhielt 1989 den Literatur-Nobelpreis. Der Spanier, der meist auf Mallorca wohnte, wurde hauptsächlich für seinen Roman Der Bienenkorb ausgezeichnet, in dem Cela die Gäste eines Straßencafés in Madrid in den 1940-er Jahren skizziert. Hier tragen Katzen dazu bei, dass wir die ganze Erbärmlichkeit des Pharisäers Don Pablo erkennen.

Der alte Mann erzählt mit Behagen, wie er vor 50 Jahren Madame Pimentón hereingelegt hatte, die hinter ihm her war. Er machte sie betrunken, bis sie an die Tür rannte und sich das Gesicht aufschlug. »So muss man das Bettelvolk behandeln!« tönt er im Café. »Wir Anständigen müssen aufpassen, dass sie uns nicht über den Kopf wachsen. … Haha, diese Hure ist nie wieder aufgekreuzt!« Am Nebentisch jagt Señorita Elvira eine Katze fort, und sofort wird Don Pablo süß: »Aber meine Dame, die arme Katze! Was hat sie ihnen denn getan?«

Gute Frage. Doch was hatte Madame Pimentòn ihm getan? Dann hält er Elvira einen Vortrag:

»Wie klug Katzen doch sind! Findiger als Menschen. Es sind Tierchen, die alles verstehen … Ich hab‘ einen Freund, ein Mann mit viel Geld und Einfluss. … Dieser Mann hat eine Angorakatze, die auf den Namen Sultan hört. Sie ist ein wahres Wunder … Sagt man: Sultan, komm her, so kommt die Katze und bewegt ihren herrlichen Schweif, der wie ein Staubwedel aussieht. Sagt man: Sultan, geh weg, läuft Sultan fort wie ein vornehmer Herr. Die Katze hat einen herrlichen Gang und ein Fell wie Seide. … Mein Freund liebt das Tier wie sein eigenes Kind. Natürlich ist es eine Katze, die sich überall beliebt zu machen versteht. … Und wie zärtlich so eine Katze ist? Haben Sie je gemerkt, wie zärtlich diese Tiere sind? Wenn sie jemanden gern mögen, so bleibt das fürs ganze Leben. … Daran könnten sich viele Menschen ein Beispiel nehmen.«

Dann lässt der Autot Don Pablo aufseufzen und zufrieden mit sich selbst sein. »Wirklich, der Satz mit dem Beispielnehmen ist ihm vorzüglich gelungen!«

Der Pharisäer ist selbstgerecht und lässt schöne Parolen los, die Schall und Rauch bleiben. Er handelt anders, als er spricht; er ist sich selber fern und sieht seine Schwächen nicht. Und dann wieder diese Vermenschlichung der Tiere! Die Wörter treu, gehorsam, klug, zärtlich stammen aus dem Menschenreich. Das Untier macht das Tier sich gleich.

 

 

 

 

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