Die Legende vom heiligen Trinker

Joseph Roth hatte bei manipogo noch keinen Platz. Ich kenne sein Werk vielleicht zu gut, habe mein Diplom mit der Arbeit Joseph Roth als Journalist erworben. Seine schönste Geschichte soll er in den ersten vier Monaten des Jahres 1939 in Paris geschrieben haben, Titel oben. Am 27. Mai 1939 starb er, am Alkohol.

OIP.40fjxYr26LYNDv0iG_rrTADUEmNach seinem Tod erst wurde seine Erzählung veröffentlicht, in der es um Wunder und den schönen, den krönenden Abschluss geht, wie immer geschrieben in abgeklärter, schlichter Prosa. Andreas Kartak, der Schlesier, ist obdachlos, lebt unter den Brücken von Paris. Ein besserer Herr hält ihn auf und beschenkt ihn mit 200 Francs; das Geld solle er der heiligen Thérèse zurückgeben, in deren Kapelle. Gemeint ist Thérèse von Lisieux (1873-1897). die »kleine Therese« (die große ist Teresa von Avila, 1515-1582).

Die Gabe ist ein Startschuss für unverhoffte Wendungen. Andreas geht zum Friseur; ein Mann trägt ihm Arbeit bei einem Umzug auf; Andreas kauft eine (gebrauchte) Brieftasche, in der er 1000 Francs finden wird; er trifft seine alte Flamme Karoline, für die er im Gefängnis war, und ein Mädchen in einem Hotel. Zwei Liebesnächte in einer Woche: Wer will da klagen? Einen alten Schulfreund trifft er, der Fußballprofi ist, ihm ein Zimmer mietet und ihm einen Anzug schenkt. Andreas kann sich nun sehenlassen.

Nur die Rückgabe des Geldes klappt nicht. Kurz vor der Messe (er soll das Geld dem Priester überreichen) gibt er die 200 Francs Woitech, einem Schnorrer, der auch gerne einen trinkt. Doch ein Polizist taucht auf, legt Andreas die Hand auf die Schulter … um ihm seine Geldbörse zu geben, die er verloren hat. Darin sind 200 Francs. Wieder zur Kapelle, aber vorher ins Bistro, wo er schon »ein unheimliches Herzweh verspürt und eine große Schwäche im Kopf«.

OIP.kiwCMnZMYrHQ4iIgwqvucgHaJ6Da geht die Tür auf, und ein junges Mädchen tritt ein, himmelblau gekleidet. Sie sagt, sie heiße Therese. Wieder so ein Zufall. Oder ein Wunder? Andreas, schon halb im Delirium, will ihr das Geld geben; jedoch lehnt sie ab, gibt ihm ihrerseits einen Hunderter. Woitech ruft Andreas an die Theke.

Aber, wie sich Andreas anschickt, an die Theke zu treten, fällt er um wie ein Sack, und die Menschen im Bistro erschrecken und Woitech auch. Und am meisten das Mädchen, das Therese heißt. Und man schleppt ihn, weil in der Nähe kein Arzt und keine Apotheke ist, in die Kapelle, und zwar in die Sakristei, weil Priester doch etwas von Sterben und Tod verstehen, wie die ungläubigen Kellner trotzdem glaubten; und das Fräulein, das Therese heißt, muss mit.
Man bringt also unsern armen Andreas in die Sakristei, und er kann leider nicht mehr reden, er macht nur eine Bewegung, als wollte er in die linke innere Rocktasche greifen, wo das Geld, das er der kleinen Gläubigerin schuldig ist, liegt, und er sagt: »Fräulein Therese?« — und tut seinen letzten Seufzer und stirbt. 

Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod!

Das war sein Wunsch. In seinem Stammcafé, dem Café Tournon, brach Joseph Roth am 23. Mai 1939 zusammen und starb nach vier Tagen im Hospital Necker an einer Lungenentzündung. Bei Wikipedia heißt es, letztlich habe ihn der abrupte Alkoholentzug getötet. Eine allerletzte sarkastische Wendung.

 

 

 

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