Gruppenseele

Wir sind untereinander verbunden. Auf diese Weise stecken wir, und das ist logisch, einander geistig an. Das muss so sein. Sich vom andern fernzuhalten ist krankhaft. Einen interessanten Artikel über Phänomene im Tierreich fand ich in Willy Schrödters Grenzwissenschaftliche Versuche für jedermann, das zum ersten Mal 1960 in Freiburg im Breisgau erschien. Den Anfang machen Pferde (gestern hatten wir ja eins, auf dem Spielplatz).

pferdeSchrödter beruft sich auf einen Artikel von August Bethe, Die Entdeckung der Gruppenseele, der im Mai 1922 im Zentralblatt für Okkultismus in Leipzig erschien. Dieser erzählt von einem gewissen Knud Knudsen, der auf einer Südsee-Insel 60 wilde Pferde hatte. Mit Wachsuggestion — eine Art Hypnose — versuchte Knudsen, erst einmal ein Pferd zu beeinflussen, das er in einem abgetrennten Pferch hielt. Er befahl dem Pferd, ein Vorderbein hochzuziehen und dann eine Achterbahn zu beschreiben. Es sollte also hinkend einen Achter laufen. Schwierig.

Plötzlich bewegte sich eine Mähre auf dieselbe Weise, und zwei andere Pferde folgten ihr. Das war unerklärlich. Weitere Versuche ergaben, dass von 3 bis 12 Pferden den mentalen Befehlen folgten, die Knudsen nur einem Pferd gegeben hatte. Ich denke nicht, dass die Pferde das ihrem Kollegen »abgeschaut« hatten. Dass die Suggestion im geheimen gegeben wurde, dafür wird der Versuchsleiter gesorgt haben.

Der Zoologe Paul Deegener schrieb über den Mondvogel:

swan1Merkwürdig ist es zu sehen, wie sich ein Reiz durch die ganze Gesellschaft fortpflanzt. Von den gemeinsam fressenden Tieren wurde eines durch Berührung seiner Haare beunruhigt: fast augenblicklich stellten alle übrigen mit ihm die Nahrungsaufnahme ein. Ein Mitglied der in Ruhe befindlichen Gesellschaft traf ein leichter Reiz: das ganze Völkchen zuckte zusammen, wobei die übrigens öfter wiederholten Bewegungn wie eine Welle durch die dichtgedrängten Geschwister hinlief. 

Wir wissen ja, dass Vogelschwärme fast augenblicklich synchron die Richtung ändern. Dieses Schwarmverhalten ist gewiss auch eine Art sofortiger Telepathie. Tiere reagieren auch auf das Leid der Artgenossen, viele Beispiele gibt es dazu.

Willy Schrödter erwähnt beim Menschen die Derwische, die ihre Seele preisgeben, um sich singend und tanzend einer Gruppenseele hinzugeben. In Mittelaustralien gab es Bretter mit aufgemalten Zeichen, den Thurunga, und sie wurden an der Hand gehalten und so lange gerieben, »bis Menschen und Zeichen sich durch einen einzigen hin- und herschwingenden Strom verbunden fühlen«, schrieb E. Platz.

Da fällt mir plötzlich ein Buch ein. Auf dem Einband war ein Bowlingspieler abgebildet, der sich mit der Kugel vornüber beugte, und alle Zuschauer neigten sich vor. Es ging darin um den Flow und die innere Beziehung von Menschen untereinander, vor allem im Sport: »We were one man, not thirty«, sagte ein Mitglied einer Ruderbesatzung. Eine Fußball-Mannschaft spielt sich in einen Rausch hinein. Pässe kommen sofort an, als ahne sein Adressat telepathisch, wohin gespielt würde. Das Buch (in einer Literaturliste fand ich den Titel) ist Emotional Contagion von Eleanor Hatfield: emotionale Anstreckung. Das geschieht uns, das treibt uns in ungeahnte Höhen, das ist die Wahrheit über uns Menschen.

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