In Heilsbronn bei Ortlieb kam am Tag der Preisverleihung das Gespräch wieder auf das Pedelec, gegen das ich ein Manifest verfasst hatte. Johannes Schubert aus München warb dafür, und darum muss ich erneut ausholen, fair sein und als Anhänger einer umweltschonenden Fortbewegung sprechen, nicht als Radfahr-Purist. Logisch: Der Feind steht links. (Auf den britischen Inseln: rechts.) Er rollt auf den Straßen neben dem Radweg, es ist das Automobil. Oder: dessen gedankenlose Lenker.
Die Absatzzahlen der Automobilindustrie lesen sich immer furchterregend. Bei Fiat drehen sie durch, wenn in einem Quartal einmal 15 Prozent weniger Fahrzeuge verkauft werden. Im Zug rollt man zuweilen an immensen Flächen vorbei, auf denen viele tausend fabrikneue Autos stehen, bereit für neue Besitzer. Dem Auto verdanken wir unseren Wohlstand. Wir dachten schon, es seien genug Autos, aber seit zehn Jahren wurde hochgerüstet. Eine kleine Springflut. Viele kleine Autos, viele fette Autos.
Buick, München, 1960-er Jahre
Auf unseren Radtouren um Rom sagte ein deutscher Bekannter immer, das mit den Suvs habe seiner Meinung nach mit dem Irak-Krieg 1990 angefangen. Die Leute hätten sich danach weniger sicher gefühlt. Nun ist es fast so wie in Italien, nur weniger hektisch, weil die Deutschen ruhige Zeitgenossen sind. Sie wollen nur ihre Vorfahrt.
Ich sagte am Mittagstisch in Heilsbronn, ich wolle mit dem Fahrrad nicht nur schnell von A nach B kommen, sondern meinen Körper einsetzen, ihn spüren. Johannes gab zu, das Fahrrad sei ein geniales Instrument, wiege weniger als der Körper und lasse sich durch Muskelkraft bewegen. Jedoch wiege auch das Pedelec weniger als sein Fahrer oder seine Fahrerin, und die Mehrzahl der Radler wolle − wenn wir an arme Gegenden denken − tatsächlich bloß gut und schnell und vor allem billig von A nach B kommen. Und wenn dies mit wenig Einsatz gehe und Kräfte sparen helfe, sei das gut.
Ein Pedelec der Firma Grace aus Berlin
Ich dachte an ein T-Shirt mit dem spanischen Aufdruck »Un coche meno«, das ich am Leib eines Radfahrers gesehen hatte: »ein Auto weniger«. Wenn das Pedelec weniger Autos zur Folge hat, werde auch ich überzeugt sein; das wiegt dann meinen Verdruss darüber auf, dass ich den wahren Radfahrer, der nach meiner Definition ein guter Mensch ist und mein Geistesverwandter, nicht mehr erkenne. Ich muss mich eben ins Exil begeben. (Auf der Rückfahrt im Zug über Augsburg und Ulm lud auch ein Radwanderer sein Rad mit Ortlieb-Taschen dran ein. Rad? Es war auch kein Krad. Es war ein Pedelec. Sollten wir es Prad nennen?)
Es gibt ja die geheime wahren Kirche, und eine Geheimorganisation der wahren Kräfte sollte es in vielen Zweigen der Gesellschaft geben. Ich bin einer der wenigen wahren Journalisten und Parapsychologen gewesen. Diese Leute kennen sich auf einen Blick; sie sind der Sache und dem Guten verpflichtet, mit Herz dabei, ohne Vorurteile und unkorrumpierbar. Die wahren Menschen sind solche, die die Menschheit auf dem Weg zu ihrer Erlösung weiterhelfen. Indessen müssen sie im verborgenen wirken, bis ein neues Zeitalter heraufdämmert.
Romeo und Julia
Ich bin vom Thema abgekommen. Das Pedelec. Bei manchen Fahrradfirmen macht es schon 50 Prozent ihrer Produktion aus. Joachim fragte, warum das E-Book genehm sei, das E-Bike aber nicht. Ich erwiderte, dass das E-Book das Lesen nicht verändere, das Pedelec jedoch das Radfahren; es sei nicht mehr Radfahren, sondern eine neue Kategorie. Es wäre, als würde man beim E-Book-Reader eine Funktion einschalten, die die Kurzfassung eines Kapitels anbietet. Wer wirklich ganz wenig Zeit hat, liest dann die komprimierte Version: »Romeo und Julia gehören zu verfeindeten Familien, lieben sich, und am Ende sterben beide.« Das ist aber nicht mehr Romeo und Julia von Shakespeare.
Der Trend geht hin zu Elektronik und Technik; da ist nichts von Rückbau und »Entschleunigung«. Man will gut verdienen. Und der Trend geht hin zu Diversifizierung. Im Universum nimmt die Entropie zu und nähert sich dem Chaos an (zweiter Hauptsatz der Thermodynamik), und in der Produktewelt, deren Protagonisten zu Bienenfleiß gezwungen sind, auch. Das Einfache muss dem Komplexen Platz machen. Das Naturjoghurt, das früher „das Joghurt“ war, ist heute nur eines unter vielen, und die legendären roten Ortlieb-Taschen haben nun grüne, blaue, orange und weiße neben sich.
Hausmüll, der früher der »Müll« war, Müll per se, ist heute nur noch eine Sparte innerhalb vieler Müllsorten. Haus und Fahrrad und Auto sind »Mülleimer-Definitionen« ohne Aussagekraft; wir bewegen uns in Richtung Frühmittelalter, als sich Philosophen gegen Abstrakta wendeten. Jedes Ding müsse einen anderen Namen haben, sei doch jeder Stuhl unähnlich dem anderen. Wir ertrinken in Produkten und Millionen Details dieser materialistischen Welt, aber da wir gute Computer haben, diese Zweithirne, kommen wir noch zurecht.
Ich werde einmal abwarten, ob einer meiner Hausgenossen, die besessene Autofahrer sind, sein Auto mit einem Pedelec vertauscht. Wenn das passiert, werde ich es auf manipogo sofort melden. Aber ich glaube es nicht. I
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am Dienstag, den 5. Februar 2013 um 00:55 Uhr erstellt
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