Auch das Motorrad tat sich schwer

1885 baute Gottfried Daimler das erste Motorrad mit Viertaktmotor: 264 ccm Hubraum und 0,5 PS. Doch die technischen Probleme waren groß, und Daimler verlegte sich auf das Automobil. Erst 40 Jahre später, 1924, war das Motorrad ausgereift und hatte sich durchgesetzt. Doch hatte es von der Fahrradentwicklung profitiert. Da hatte es ja auch 40 Jahre gedauert, bis überhaupt die endgültige Form gefunden war. Nach den Pedalen 1857 kam erst um 1880 die Kette, 1888 der Luftreifen, 1894 die Nabe. 

Ich war irgendwie auf ein Buch von 1971 gestoßen, Das Zweirad im Wandel der Zeit, geschrieben von Peter Schneider und konzipiert auch als Führer durch das Deutsche Zweirad-Museum Neckarsulm. Damals gab es noch viel Text, und durch viel Text lernt man viel. Schon 2014 hatte manipogo über Alois Wolfmüller geschrieben, der 1894 in Landsberg das erste Motorrad (das Wort stammte von ihm) jungfernfahren ließ (ich kenne die Stelle, in der Nähe des Cafés Lauterbach) und es in Serie herstellte. In meinem Beitrag gibt es ein Foto des Motorrads, und unten sehen wir den Vorgänger vom Daimler.

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Wolfmüllers Gerät war zu schwer und zu teuer. Fieberhaft wurde weltweit gebaut und getüftelt. Es haperte bei allen Modellen an der Zündung, und Probleme waren die Schmierung und die Bereifung. Erst 1901 kam die Neckarsulmer Fahrradfabrik Act.-Ges. mit einem tauglichen Fahrzeug auf den Markt, bevor 1902 Robert Bosch die wegweisende Magnetzündung erfand. 1903 warben die Neckarsulmer so:

Wir haben uns entschlossen, für nervenstarke Fahrer ein starkes, dreipferdiges Motorrad zu bauen, das sehr schnell ist; man kann aber auch langsam damit fahren!

Aber um überhaupt fahren zu können, waren Hürden zu überwinden. Der deutsche Bürokrat hatte sich wieder ausgelebt. Die Behörden verlangten den Nachweis von 15 Formalitäten, bis man ein Motorrad besteigen konnte. Das entmutigte die Käufer, die außerdem ein störanfälliges Produkt bekamen. Unten sehen wir das NSU Leichtmotorrad Pony 1912 (48 Kilo schwer, 60 km/h schnell).

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Dann kam der Krieg, und danach der Konkurrenzkampf. »Ein leichtes Motorrad kostete unter diesem Druck kaum mehr als vor dem ersten Weltkrieg ein gutes Fahrrad«, schreibt Schneider. Es gab 1918 kaum Benzin, und Geld hatte man auch nicht. J. S. Rasmussen aus Zschopau baute darum einen winzigen Dampfkraftwagen, den er DKW nannte: 25 Kubikzentimeter Hubraum, eine halbe Pferdestärke (PS) Leistung. 1922 war das Lomos-Sesselrad von DKW, das wir als nächstes bewundern, schon gut gefedert und gut motorisiert: ein Roller mit zweieinhalb PS, von dem 2000 Stück gebaut wurden.

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1924 zog ein 17-tägiges Deutschland-Rennen von Motorrädern die Massen an. Plötzlich wollten alle ein Motorrad haben. 1929 stellten deutsche Fabrikern 200.000 Motorräder her (1925 waren es noch 40.000), und der Autor verrät uns:

Es gab damals in Deutschland 12,5 Millionen Radfahrer, deren Großteil den Wunsch hatte, für wenig Geld ein solides Motorfahrrad für den täglichen Gebrauch kaufen zu können.

Alles schon mal dagewesen. Es gab in den 1920-er Jahren viele schöne, kraftvoll aussehende Modelle: den Triumpf Knirps, den Megola 1922, den Arnie 1923, das NSU Tourenmotorrad 502 T, die DKW Blutblase 1926, Zündapp Einheitsmodell 1927, Windhoff 1928, BMW R 52 und Opel Motoclub 1929. Stellvertretend für sie eine Tourenmaschine, die mir am besten gefiel: Mars M. A. 20 1925, mit Motor von Maybach. Hubraum 956 ccm, 7,3 PS. Handkurbel zum Anlassen.

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Kleine persönliche Anmerkung: Hundert Jahre später hierzulande, wo alle viel Geld und Zeit haben, kauft sich der deutsche Mann ein Motorrad und bricht mit seinen Freunden über die Berge. Vor 4 Tagen bei einem Rennrad-Ritt hoch zum Kreuzweg oberhalb von Badenweiler raste so ein blöder Geländemotorradfahrer an mir vorbei, drehte nochmal auf, bis es mir in den Ohren zischte. Diese Leute betreiben Körperverletzung! Horden von Motorradfahrern rasen durch kurvige Dörfer im Schwarzwald, die Dörfler sind entnervt und wollen am Wochenende ihre Ruhe haben, und unten in Münstertal steht am Kreisel ein großes Transparent: Initiative Motorradlärm. Wobei die Initiatoren wohl meinten: Initiative Anti-Motorradlärm. Die Anfänge sind immer nett, doch dann artet es aus. (Siehe der morgige Beitrag.)

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Sven Heimberger vom Deutschen Zweirad- und NSU-Museum Neckarsulm hat mir erlaubt, Fotos aus dem Katalog von 1971 zu verwenden. Vielen Dank!

Und erinnern wir an das Buch Zen in der Kunst, ein Motorrad zu warten von Robert M. Pirsig, das eine schöne Lektüre ist und von manipogo hier vorgestellt wurde. Nochmal sehen wir das Wolfmüller-Motorrad. Dann kennen wir es.

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