Flugverkehr (126): Zwei Mal Abflug

Nahtod-Erfahrungen gab es vermutlich schon immer, nur wurden sie anders genannt oder nur mündlich weitergegeben. Wir sehen uns heute zwei berühmte Fälle an, weil Giulio Caratelli und Maria Luisa Felici in ihrem Februar-Heft Il Mondo del Paranormale sie vorstellen. Der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung hatte sein Erlebnis 1944, der Fall von Doktor A. S. Wiltse wurde schon 1889 beschrieben.

Fangen wir mit dem alten Fall an. Doktor Wiltse litt unter Typhus und hatte starkes Fieber. Seine Bekannten, die sein Bett belagerten, stellten keinen Pulsschlag mehr fest und erklärten ihn für tot. Vier Stunden dauerte sein Scheintod. Er selber schilderte, ein immaterieller Teil seiner Person habe sich etwas vom Körper gelöst, und er habe in seinen Körper hineinschauen können: für einen Arzt etwas Wunderbares. Wiltse sagte sich also: »Ich bin wohl tot.« Gleichzeitig fühlte er sich lebendig und so bewusst wie nie zuvor.

trzecieoko1984Eine wellenartige Bewegung ergriff ihn, und er spürte, wie kleine Schnüre, die »ihn« (seine Seele, sein Wesen) mit dem Körper verbanden, nach und nach rissen, wie dieses unkörperliche Etwas immer höher kroch und aus dem Kopf austrat, dabei bebte wie eine Seifenblase. Die Blase sackte zu Boden; als er sich erhob, hatte er die Statur eines Mannes: seine Statur. Wiltse entdeckte zu seinem Schrecken, dass er nackt war. Er wollte also flüchten, doch kaum hatte er die Türschwelle erreicht, fand er sich bekleidet.

Er schaute noch einmal zurück zu seinem Körper, spürte Glück und Befreiung und machte sich auf den Weg, und nach einigen Straßen flog er plötzlich hoch in die Wolken — und stieß an drei mächtige Steine, die unpassierbar schienen. Eine kleine schwarze Wolke machte ihm irgendwie klar, dass er nch nicht dran war, dass seine Zeit nich nicht gekommen war. Er musste zurück und empfand wie alle Nahtod-Zeugen Enttäuschung und die Beengung, wieder in seinem Körper zu sein. Wie die heutigen Zeugen schrieb Doktor Wiltse alles auf und sorgte für die Veröffentlichung seines Falles; immerhin war er Arzt und hatte einen interessanten Fall vor (eher hinter) sich.

Carl Gustav Jung hatte Herzprobleme nach einem Beinbruch, war bewusstlos und driftete weg. Er fühlte sich hoch ins All transportiert, etwa 1500 DSCN3949Kilometer von unserem Planeten entfernt und sah hinunter, und neben ihm schwebte ein großer Stein, der anscheinend Überrest eines Tempels war. Jung machte sich daran, einzutreten, als er gewahrte, dass er sich an seine Vergangenheit nicht mehr erinnerte. Da war nur noch eine große Leere. Er meinte, die ganze Vergangenheit sei ihm weggenommen worden mit allem, was er gewollt oder gedacht hätte. Er erklärte:

Dennoch blieb etwas: Es war, als hätte ich jetzt in mir all das,, was ich gelebt und getan hatte … Es gab nichts mehr, was ich wollte oder begehrte. Ich existierte sozusagen auf objektive Weise … ich kann mein Erlebnis nur beschreiben als Glückseligkeit in einem nicht-zeitlichen Zustand, in dem Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ein einziges Ding waren.

Caratelli und Felici betonen, dass der Schweizer Gelehrte nicht mehr sagen wollte als dass es sich um einen Endpunkt der psychischen Entwicklung gehandelt habe, eine Art Ausdehnung des Bewusstseins. Weiter habe er nicht gehen wollen. Wie viele Ärzte und Psychiater sperrte sich Carl Gustav Jung gegen den Gedanken, die Psyche (die Seele) könne außerhalb des Körpers funktionieren. Er zog es vor, das Erlebnis für fiktiv zu halten oder für symbolisch, was zu ihm passen würde; aber nahm er als Therapeut nicht alles ernst, was ihm Patienten erzählten, als wären es Fakten? Jung hatte etwas erlebt und starke Emotionen gehabt, doch der Intellekt ließ ihn das verleugnen.

Wie schreibt nicht Christian Morgenstern über Palmström, der überfahren wurde:

 Und er kommt zu dem Ergebnis:
»Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil«, so schließt er messerscharf,
»nicht sein kann, was nicht sein darf«.

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