Lakota Woman

Niemand wird gezwungen, über das Böse in der Welt zu lesen. Wenn’s einem nicht gut tut, sollte man es sein lassen. Doch ein wenig Mitleiden darf schon sein und ist hilfreich, denn irgendwie sind wir alle verantwortlich dafür, dass der Mensch den Menschen unterdrückt. Lakota Woman erzählt das schwere Leben einer Indianerin den USA von 1960 bis 1990. Das ist noch nicht lange her. 

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Mary Brave Bird nahm nach ihrer Heirat mit dem indianischen Schamanen Leonard Crow Dog dessen Namen an, und unter Mary Crow Dog schrieb sie 1990 das erwähnte Buch, das 1994 in Deutschland erschien und 2009 seine neunte Auflage erlebte. Ihr Fazit gleich zu Beginn: Wenn auf die Welt kommen willst, achte darauf, dass du weiß und männlich geboren wirst, sonst wirst du keine gute Zeit haben. Ihre Mutter wurde nach ihrer Geburt gleich sterilisiert, ihre Schwester auch. Es sollte nicht zu viele Indianer geben. Ärzte machten sich da in tausenden Fällen schuldig. Es hieß auch: Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer, und Oberst Chivington sagte zu seinen Soldaten: »Tötet sie alle, groß oder klein. Aus Nissen werden Läuse!« Die Ungeziefer-Metapher, die die Nazis für die Juden verwendeten.

Die Missions- und Internatsschulen wurden von sogenannten Indianerfreunden ins Leben gerufen. Schon Marys Großmutter wurde, als sie geflüchtet war, von Nonnen nackt ausgezogen und mit der Pferdepeitsche geschlagen. »Viele Nonnen waren deutsche Einwanderer, einige aus Bayern, und wir fragten uns, ob Bayern wohl so eine Art Drakula-Land ist, das von Ungeheuern bewohnt wird.«

Dann das Leben im Reservat. Die Jungs betranken sich, dann quetschten sich viele in ein altes Auto, dren Bremsen defekt waren, und so rasten sie, betrunken, übers Land. Bei Unfällen verlor Mary Crow Dog zwei Dutzend Verwandte und Freunde. In den Bars wurde getrunken, und am Ende gab es immer eine Schlägerei. Indianerinnen mussten sich im Ghetto ständig gegen Gewalt und sexuelle Nachstellungen zur Wehr setzen. Mary schloss sich dem American Indian Movement (AIM) an, das ihre Rechte verteidigte. Mary Crow Dog scheibt:

Einiges von unserer Beredsamkeit übernahmen wir von den Schwarzen, deren Bewegungen vor der unseren entstanden waren. Wie sie waren wir eine Minderheit, arm und diskriminiert. Aber es gab auch Unterschiede. Ich halte es für bezeichnend, dass ein Schwarzer in vielen indianischen Sprachen »schwarzer Weißer« genannt wird. Die Schwarzen wollen das, was die Weißen haben — das ist durchaus verständlich. Sie wollen hinein. Wir Indianer wollen hinaus! Das ist der Hauptunterschied.

Wie bei den Moslems gab es bei den Indianern eine Kurzzeit-Ehe. Man sagte zur Frau »Hey, du bist mein Typ«, und wenn sie derselben Ansicht war, suchte man einen Medizinmann, der mit beiden eine Pfeife rauchte, ihnen eine rote Decke um die Schultern legte und sie damit zu Mann und Frau erklärte. Das konnte nach ein paar Tagen wieder vorüber sein, doch manche Verbindungen hielten Jahre.

service-pnp-yan-1a38000-1a38100-1a38116rIn Wounded Knee brachen die US-Amerikaner 1890 den letzten Widerstand der Indianer, die sich mit ihrem Geistertanz Mut gemacht hatten. Sie machten alle Indianer nieder. 1973 besetzten die AIM-Indianer den schicksalsträchtigen Ort. 71 Tage dauerte die Belagerung. Die Staatsmacht bot alles auf, was sie in der Hinterhand hatte. Panzer kamen, die Bundespolizei jagte 10.000 Schuss auf die Häuser los, und nur 30 Schuss kamen zurück, denn die Indianer hatten kaum Munition. Die Regierungsleute wollten ein Ende der Belagerung, misstrauten aber Gesprächen bei der Pfeife. Mary Crow Dog:

Es gab in der Tat nur wenig, was ihnen heilig war. Außer dem Glauben an nackte Gewalt, Zahlen und Paragraphen hatten sie keine sehr starken Überzeugungen.

1975 wollten die Behörden ihren Mann, Leonard Crow Dog. Auf das einsame Farmhaus stürmten 185 Mann los, am Himmel kreisten Flugzeuge, und ein Hubschrauber landete im Hof.

Aus dem Gefängnis kam Leonard Crow Dog wieder frei. »Wo immer amerikanische Ureinwohner um ihre Rechte kämpfen, Leonard ist dabei. Das Leben geht weiter.« So schrieb Mary Crow Dog 1990. Hoffen wir, dass ein ähnlich charismatischer und einsatzfreudiger Schmane Leonards Arbeit weiterführte, denn seither sind 30 Jahre vergangen.

Illustrationen: Oben rechts eine Indianerin, 1916 fotografiert; unten links We remember Wounded Knee, Plakat von Bruce Carter. Dank an die Library of Congress, Washington D. C.

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