Shirin-Gol in Afghanistan
»Was ist mit Afghanistan, was mit Syrien?« So schrieb ich vor einem Monat, nicht ahnend, dass ich nun schreiben müsste: Vorgestern nahmen die Taliban Kabul ein, und ganz Afghanistan gehört ihnen. Armes Afghanistan, in der Hand der Geißel des Orients! Das Buch, das ich las und das ich vorstellen möchte, heißt Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen, und die Journalistin Shiba Shakib hat es 2003 geschrieben. Wirklich ein Buch zum Weinen.
Erzählt wird das Leben von Shirin-Gol, der »süßen Blume«, einer Afghanin mit 4 Kindern, die in einem Flüchtlingslager gelandet ist. Als sie klein war, kämpften der Bruder, der Vater und andere Männer in den Bergen gegen die Russen, die 1980 das Land überfallen hatten, und gegen die Soldaten der Regierung.
Die Familie geht in die Hauptstadt, die Kinder zur Schule unter russischer Verwaltung. Shirin-Gol heiratet Morad, weil ihr Bruder das so will, und Morad ist zum Glück ein guter Mann. Dann ziehen die Russen ab, und was sie stehengelassen haben, zerstören die Mudschaheddin in ihrem Bruderkrieg, und dann kommen die Taliban. Flucht nach Pakistan.
In Peschawar lebt die Familie in einem Flüchtlingslager, und Morad schleppt kostbare Gegenstände über die grüne Grenze, bis er schwer verunglückt. Sein Chef, der Schmuggleranführer, bringt Geschenke und vergewaltigt Shirin-Gol. In Pakistan gab es Märkte, auf denen afghanische Mädchen (auch ganz kleine Mädchen) von Männern verkauft und gekauft wurden, wie Handelsware, als Sex-Sklavinnen.
Auch drei pakistanische Polizisten vergewaltigen Shirin-Gol, die davon schwanger wird. Sie ist bereits Mutter von drei Kindern: eins von dem Schmuggleranführer. Shirin-Gol flieht zurück in die Berge, da ist es kalt, doch sie finden ein Dorf, das sie aufnimmt. Leider kommen dann die schwarzen Hubschrauber (das hat manipogo bereits erzählt).
Als nächstes ein neues Dorf, etwas größer. Ein Teehausbesitzer hilft, die kleine Familie findet eine Wohnung. Shirin-Gol arbeitet bei Azadine, einer Ärztin. Aber die Talibans kommen. Frauen dürfen weder arbeiten noch die Wohnung verlassen. Ein guter Talib heiratet Nur-Aftab, Shirin-Gols Schwester. Aber die Taliban! Da hilft nur Flucht: in den Iran.
Sie bekommt Arbeit. Die Iraner sind gut zu ihnen. Dann wird die Versorgungslage schlecht, und sie sind weniger freundlich, die Iraner. Morad schmuggelt Opium, wird gefasst, kommt ins Gefängnis. Da hilft nur Flucht: zurück ins Heimatland. Sie kommen wieder ins Dorf Azadines, der Ärztin, die aber weggehen musste. Shirin-Gol und ihre Familie fahren im Bus in ein Lager in der Hauptstadt. Morad hat vier Tage und Nächte Opium geraucht und verschwindet.
Irgendwann dann taucht er wieder auf. Shirin-Gol hilft bei der Entbindung, als ihre Tochter ein Kind bekommt. Sie hat nun weiße Haare und ist Großmutter. Nur einmal hat sie es nicht mehr ertragen und wollte aus dem Leben fortgehen, aber man rettete sie. Nun sind fast wieder 20 Jahre vergangen seither. Ob sie noch am Leben ist? Hoffentlich wird ihre nächste Inkarnation eine weniger qualvolle sein.
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20 Jahre lang waren deutsche Truppen im Land stationiert und fuhren im Schützenpanzer vermutlich viele Patrouillen. Aber bloße Anwesenheit ist nicht sehr ergiebig und hat geringes Drohpotenziel, denn die einheimischen Kämpfer sind durch ihre Kenntnis des Landes und der Sprache immer überlegen. Die Amerikaner sind abgezogen und sollen drei Milliarden Dollar für Waffen ins Land gepumpt haben; womit sie den Krieg nur befestigten. Ein Freund meinte: Mit dieser Summe hätte man das Land doch aufbauen können! Richtig. In Afghanistan leben 38 Millionen Menschen; jedem einzelnen von ihnen hätte man 100 Dollar schenken können. Man weiß doch, dass es keinen Sinn hat, das Geld irgendwelchen Potentaten zu geben. Wieso ist man nicht in der Lage, mit Geld etwas Sinnvolles zu tun?