Vom Glück

Dem Glück verschreibt sich heute manipogo, aber nicht dem Glücklichsein, sondern dem Glücken. Etwas ist geglückt, ich habe Glück gehabt, was für ein Glück! Manchmal geht alles gut, dann wieder nicht, aber ist es so einfach wie ein mathematisches Rätsel? Es gibt Menschen, die haben mehr Glück als andere. Angeboren? Erlernt? Gehen wir näher ran.

Allan J. Hamilton fiel mir ein, der Chirurg, der The Scalpel and the Soul schrieb. Er riet dem Patienten (neben 19 weiteren Ratschlägen), an das Glück (im Sinn von Dusel) zu glauben und war überzeugt, dass ein guter Chirurg mit Glück begabt sein müsse, sonst solle er seinen Beruf wechseln.

Etwas anders meint es Lion Feuchtwanger (1884-1958) in seinem Roman Jud Süß, als er diesen — das Finanzgenie Josef Süß — denken lässt:

DSCN3452Aber er war gewiss, Glück war eine Eigenschaft. Wer jenes heimliche Wissen nicht besaß, jene Gabe, auf Augenblicke zu wissen, untrüglich, unumstößlich, dies oder jenes Unternehmen, dieser Würfel, dieser Mensch bringt Glück, der mochte von den Geschäften die Hand lassen, auf jeden Aufstieg im Leben verzichten.

DSCN3430Jehuda Ibn Esra, das Finanzgenie in Feuchtwangers 30 Jahre später entstandenem Roman Die Jüdin von Toledo, denkt es sich ähnlich:

Glück war eine Eigenschaft, und ihm hatte Gott diese Eigenschaft verliehen. Wie ein Jäger, der seine Hunde neckt, so fühlte er sich den anderen überlegen.

Da ist der Instinkt angesprochen, das Bauchgefühl, die Intuition, was zu einem gewissen Ausmaß erlernbar ist (oder gelernt wird durch viele Ereignisse: eine Art Musterkennung)), doch gibt es da etwas, das man nicht erklären kann. (Nebenan: die Synagoge von Toledo)

So ein Gefühl kann einen aus der Lebensgefahr retten. Der Dichter Bertolt Brecht (1898-1956) musste vor dem Nazi-Regime fliehen und verfasste das Gedicht Vom Glück.

Wer entkommen will, braucht Glück.
Ohne Glück
Rettet sich keiner vor der Kälte
Vor dem Hunger oder gar vor Menschen.

Glück ist Hilfe.

Ich habe viel Glück gehabt. Deshlab
Bin ich noch da.
Aber in die Zukunft schauend, erkenne ich schaudern,
Wieviel Glück ich noch brauche.

Glück ist Hilfe.

Stark ist, wer Glück hat.
Ein guter Kämpfer und ein weiser Lehrer
Ist einer mit Glück.

Glück ist Hilfe.

Peter Wyden (geboren als Peter Weidenreich wie Brecht in Augsburg) hat in seinem dokumentarischen Buch Stella untersucht, was Menschen auszeichnet, die viel Glück hatten. Er befragte 67 Menschen, die alle der Tötungsmaschinerie entkamen. Sie tauchten in Berlin als »U-Boote« unter und blieben am Leben. Wyden arbeitete 9 Charakterzüge heraus.

Erster Charakterzug: Chuzpe. Das ist jüdisch und heißt Schneid, Draufgängertum mit dem Motto Frechheit siegt. Dann:

Ihr Ego war im allerbesten Zustand. Sie waren ausnahmslos positiv denkende Menschen, optimistisch, fröhlich, zuversichtlich, manchmal sogar überschäumend. Sie waren extravertierte, gesellige Menschen, die sich wie ein Chamäleon schnell an neue Verbündete anpassen konnten, die ihnen beim Überleben nützlich werden konnten. … Sie waren durch und durch Schauspieler, Märchenerzähler, Lügner, einfallsreiche Erfinder von Details, und sie vergaßen die Einzelheiten ihrer vielen falschen Identitäten nie. … Sie konnten wunderbar improvisieren, sie blieben nicht starr auf den eingefahrenen Gleisen eines veralteten Drehbuchs. … Mit der Sensibilität eines Charlie Chaplin erkannten sie, dass Lachen eine wirksame Medizin gegen fast alle Probleme ist. Sie hatten mehr als Humor, sie besaßen die ausgelassene Unehrerbietigkeit der Abenteurer, der Spötter, die auch in schlechten Zeiten noch Spaß am Leben hatten.

Nun die Quintessenz des Peter Wyden:

Ihr Glück war fast unglaublich. Aber war es wirklich Glück? Mein Mitschüler Rudi Goldschmidt (heute Goldsmith) … ist nicht dieser Ansicht. Er erinnerte sich, dass seine Mutter, die Gründerin unserer Goldschmidt-Schule, immer zu ihm gesagt hatte: »Glück gibt es nich6. Du brauchst eine gute Ausbildung und eine Gelegenheit, sie zu nutzen.«   

Schaden kann es nicht, ans Glück zu glauben und sich zu sagen: Es geht gut aus. Ich weiß es. Man male sich den guten Ausgang im Geist aus (schon Jesus Christus hat das empfohlen). Man kann sich das Universum geneigt machen und ein wenig Kraft herbeirufen, die hilft.

 

 

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