Flugverkehr (130): Drei Falken
Das soll ein besonders schöner Beitrag werden. Er behandelt die Novelle Drei Falken von Werner Bergengruen (1892-1964), der kühn und mit meisterlichem Stil auf 52 Seiten eine symbolische Geschichte erzählt, die die Freiheit feiert. Der Falke gab auch einer literarischen Theorie von Paul Heyse den Namen, und sie gehört auch hierher.
Die Geschichte, 1937 entstanden, in Kürze: In einer Stadt im Königreich Neapel stirbt ein Mann, der nicht viel hinterließ als sein Haus samt Hausrat und drei edle Falken. Das Testament will, dass alle drei Falken verkauft werden und der Erlös etwaige Schulden bezahlen sowie das Kloster und seine Erben bedienen soll. Ein hoher Herr, Albinelli, bereitet die Versteigerung vor. Die Erben sind ein Seidenhändler und seine Frau (die Witwe des Sohnes des Erblassers), gierige geldbewusste Leute, und Cecco der Hinker, ein beliebter Taugenichts, der aus dem Testament erfährt, dass der Falkenbesitzer sein Vater war.
Ein Falke entflieht, die anderen beiden werden versteigert und das Geld wird seinen Zwecken zugeführt. Da wird der dritte Falke gebracht, der eingefangen werden konnte. Der Verkaufserlös soll an die Seidenhändler und Cecco gehen, der plötzlich das Geschacher satt hat. Er greift sich den Falken, der sich wohl fühlt bei ihm.
Und wie er das Bild des schönen, edlen Tieres, das kraftvoll und gesammelt auf seiner Faust saß, in sich hineinnahm, da wurde der Ekel in ihm übermächtig: der Ekel davor, dass dieses Stück freien und göttlichen Lebens zu einer Handels- und Streitware gedrückt wurde; der Ekel daran, dass alles um Geld zu Markte stand, und der Schrecken darüber, dass all diese krämerische Zänkerei ihn selber zu umschließen trachtete …
Cecco hebt den Vogel hoch und lässt ihm die Wahl. Dieser zögert einen winzigen Augenblick.
Dann spannte er die Schwingen aus, und gleich danach blitzte sein lichtes Gefieder in der Frühlingssonne, weit oberhalb der Volksmenge des Stadtplatzes.
Der Seidenhändler ist außer sich vor Wut, und auch Albinelli trauert, denn er hatte den Vogel besitzen wollen. Dann bezähmt er sich und sagt zu Cecco, sein Vater habe die Falken nicht des Gewinnes wegen gehalten. Er sagt noch:
Und wir jagen mit dem Falken nicht nur einer Leidenschaft oder gar Zeitverkürzung zuliebe. Sondern unser aller wahrer Grund ist dieser: dass im menschlichen Herzen etwas beschlossen liegt, welches der Sinnesart des Falken entspricht.
Wie heißt es im Ägyptischen Totenbuch?
Wie ein Falke dring ich in den unermesslichen Himmel,
Wie ein Phönix durchlauf ich die Gebiete des Jenseits.
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Die Falknerei ist seit dem Hochmittelalter bekannt, wurde aber schon in der Antike ausgeübt. Der Falke wurde gegen das Wild geworfen, mit ihm wurde gejagt, was Beizjagd hieß. Kaiser Friedrich II. (1194-1250), der in Apulien Residenz hielt, schrieb zwischen 1241 und 1248 sein Buch Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen, das gemeinhin Falkenbuch genannt wird. Ein Exemplar wurde von seinem Sohn Manfred (1232-1266) kommentiert, der mit Rex Manfredus signierte, denn er war von 1258 bis 1266 König von Sizilien. Im Absolutismus erfuhr die Falknerei einen Aufschwung. Karl Wilhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach beschäftigte um 1750 in seiner Falknerei 50 Mitarbeiter. Die Beizjagd verlor indessen Anfang des 19. Jahrhunderts an Bedeutung.
Der beliebte und produktive Paul Heyse (1830-1914), Literaturnobelpreisträger 1910, schrieb in seinem Leben an die 180 Novellen. Eine Novelle ist kurz und prägnant geschrieben, besitzt einen Umschlagspunkt und eine Fabel. Heinrich von Kleist schuf einige Perlen, dann (ab 1822) erwies sich der Romantiker Ludwig Tieck als Meister der Novelle, die aus den romanischen Ländern stammt. Giovanni Boccaccio (1313-1375) ist mit seinem Dekameron, seinen Geschichten aus hundert Tagen, bekannt geworden, und Heyse wählte die Kurzform einer seiner Novellen als Zentrum seiner Falkentheorie:
Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden; in ritterlicher Werbung verschwendet er all seine Habe und behält nur noch einen einzigen Falken; diesen, da die von ihm geliebte Dame zufällig sein Haus besucht und er sonst nichts hat, ihr ein Mahl zu bereiten, setzt er ihr bei Tische vor. Sie erfährt, was er getan, ändert plötzlich ihren Sinn und belohnt seine Liebe, indem sie ihn zum Herrn ihrer Hand und ihres Vermögens macht.
Und Heyse sagte, jede Novelle müsse irgendwo ihren »Falken« haben.