Dukatenscheißer

Wo Stoffe verwandelt und veredelt werden, bleiben unerwünschte Reste übrig. Sie fallen an … oder ab, weshalb man von Abfall spricht. Es ist Müll aus Haushalten, es sind Abgase, wenn ein Motor fossile Brennstoffe in Bewegungsenergie umwandelt, und es sind Gifte und Schlacken. Bei jeder Produktion fällt etwas ab. Beim Menschen heißen sie Exkremente oder Ausscheidungen, und von diesen müssen wir einmal sprechen.

2021-11-25-0001Paracelsus bezeichnete den Körper als einen Alchemisten, der die aufgenommenen Stoffe »transmutiere« und dabei neue erzeuge. Nahrung wird zu Energie und Lebenskraft. Der Körper etwa stellt den Zahnschmelz her, der härter ist als alles, was der Mensch je essen kann. Uns etwas zuzuführen, ist eine milde Art der Vergiftung, und der Körper muss die Nahrung aufspalten und etwas daraus machen, das die Zellen verwenden können. Daher, meint Helmut Gebelein in seinem Buch Alchemie, »wird selbst die Zubereitung der Speisen als alchemistischer Vorgang verstanden«. Wir verwandeln kochend, bratend und dünstend Wesen aus dem Pflanzen- und Tierreich, damit sie bekömmlich werden.

Wandlung ist das Stichwort: Die Transmutation bezeichnet die Verwandlung eines chemischen Elements in ein anderes, und wenn bei der Wandlung in der heiligen Messe der Katholiken die Hostie zum Leib Christi und der Wein zu seinem Blut wird, verändert sich nach theologischer Ansicht die den Stoffen innewohnende unsichtbare Substanz, weshalb der Vorgang Transsubstantiation genannt wird. Erst 1215 wurde diese Vorstellung von der Kirche zum Dogma erklärt.

Die menschlichen Exkremente — der bei der Wandlung entstehende Abfall — waren immer verpönt. Sie sind eklig und stinken; und sie machen den Pflegeberuf so unerträglich, weil in den Heimen viele Menschen betreut werden, die ihre Körperfunktionen nicht mehr kontrollieren können. — Wie ist dann die Konnotation (der Zusammenhang) zwischen Kot und Gold entstanden, etwa im Märchen?

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Früher (und bis in unsere Tage) kippte man Gülle als Dünger auf die Felder. Die Ausscheidungen halfen also, dass neue Nahrung wachsen konnte. Und so erträumte man sich »geschissenen« Reichtum. Gebelein schreibt:

In den Märchen spielten Gold und Dreck eine große Rolle. Aus Dreck wird Gold und Gold wird — bei unrechtem Gebrauch — wieder zu Dreck. Der Esel scheißt Gold, Dukatenscheißer sind ein beliebtes Thema. … Eine Hoffnung auf Reichtum war nur im Märchen vorstellbar, nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. … Nur durch Verwandlung der unnützen oder wertlosen Gegenstände in Reichtum wird das Leben schön.

2021-10-22-0002Da sind wir plötzlich bei Gesellschaftskritik angelangt, die bei den Gebrüdern Grimm vor 200 Jahren abwesend ist — und stillschweigend anwesend. Im Märchen Tischlein-deck-dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack klaut ein Gastwirt zwei Söhnen eines Bauern das Tischlein und den Goldesel, bis der Knüppel des dritten Sohnes ihn zur Herausgabe der beiden Wunder zwingt. Und dann wird gefeiert!

Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Karl Marx über das Geld und seine Bewertung, und bald danach stellte Sigmund Freud in Wien — nun in den Worten von Erich Fromm (aus dem Buch Haben und Sein) — fest, dass Kinder

vor dem Erwachsenwerden eine Phase durchmachen, die er als die anal-erotische bezeichnete. Diese Phase bleibt, wie Freud entdeckte, oft für die Entwicklung eines Menschen bestimmend und führt dann zur Entstehung des analen Charakters, der dadurch gekennzeichnet ist, daß der Mensch seine Hauptenergie auf den Besitz, das Sparen und Horten von Geld und materiellen Dingen ebenso wie von Gefühlen, Gesten, Worten richtet. …

Worauf es ankommt, ist Freuds Auffassung, daß das Vorherrschen der Besitzorientierung kennzeichnend für die Periode vor dem Erreichen der vollständigen Reife sei und als pathologisch angesehen werden müsse, wenn es im späteren Leben dominierend bleibt. Mit anderen Worten, für Freud ist der ausschließlich mit Haben und Besitz beschäftigte Mensch psychisch krank und neurotisch; daraus folgt, daß eine Gesellschaft, in der die anale Charakterstruktur überwiegt, krank zu nennen ist.

Oral heißt auf Lateinisch den Mund betreffend, anal meint eine andere, die hintere Körperöffnung. Ohne irgendeine Wertung sei daran erinnert, dass die Deutschen, als 2020 wegen Covid Lockdowns drohten, massenhaft WC-Papier kauften — zur Belustigung ihrer Nachbarn.

Toilette an der Reeperbahn

Toilette an der Reeperbahn

 

Illustrationen: Ruth Koser-Michaëls in meinem Buch Märchen der Brüder Grimm, Verlag Th. Knaur Nachfolger Berlin, 1937

 

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