TestpilotInnen (6): Todeserfahrung und Neugeburt

Eine Stelle bei Dieter Beck ließ mich stutzen und zwang mich, neu über Nahtoderfahrungen nachzudenken. Man muss dankbar sein für alles, was das eigene Denken in eine andere Richtung stößt. Das schon ist eine Art Neuanfang, denn ein möglichst vollständiges Bild soll es sein. Vielleicht sollte ich eher formulieren: Todeserfahrung als Neugeburt, denn darum geht es. 

derseherIch werde künftig auch von Todeserfahrungen sprechen, denn man weiß, dass der Terminus Nahtod-Erfahrung (oder NDE, Near-Death Experience) gewählt wurde, um niemanden in Wissenschaft und Medizin zu verschrecken. Dieter Beck beschrieb in seinem Buch den dreitägigen todähnlichen Tempelschlaf der Antike,

der mit einer Grablegung und Auferstehung verbunden ist. Wenn der Schüler … aus dem Sarge gehoben wird, dann hat eine Seele einen Blick in eine geistige Welt getan, die dem Menschen sonst verschlossen bleibt. Der Seinswandeel und das erweiterte Bewusstsein, dessen Träger der Eingeweihte jetzt ist, befähigen ihn unter anderem zu prophetischen und seherischen Inspirationen. (…)

Nun könne man sich, meint Beck, die Frage stellen, ob die »mit schwerer körperlicher Krankheit verbundene Todesnähe eine besondere Voraussetzung dafür ist, dass ein Mensch aus der Krankheit einen Gewinn« zieht und innerlich neu wird. Seine Antwort: »Erstaunlicherweise ist dem selten so.« Das subjektive Erleben sei entscheidend, Todesnähe stelle eher die Umgebung als der Patient fest, nur könne man sagen, je stärker und tiefer der Rückzug des Patienten sei, desto eher sei »seelische Umstrukturierung« möglich.

service-pnp-fsa-8d03000-8d03000-8d03028rDas hat Dieter Beck bekanntlich 1980 geschrieben. Erst fünf Jahre vorher war Life After Life von Raymond Moody erschienen, das erst später zum Bestseller wurde, und 1978 war in den USA die Internationale Vereinigung für Nahtod-Studien (IANDS) gegründet worden. Die Weiterentwicklung der Medizin machte es möglich, dass immer mehr Menschen wiederbelebt, aus dem Tod zurückgeholt werden konnten. Erst ab den 1990-er Jahren haben wir viele und immer mehr Berichte von Zeugen, die nach ihrem Erlebnis allesamt ihr Leben änderten, also die erwähnte seelische Umstrukturierung erfuhren.

Ich zweifle nicht an der Realität dieser Erzählungen; sie lassen uns Blicke in eine größere Wirklichkeit tun. Hinter diesem Horizont wartet die Liebe auf uns. Doch warum haben nicht alle Menschen, die die Grenze passierten, diese lebensumstürzende Erfahrung gemacht? Man rechnet mit 10 bis 15 Prozent. Ich denke: Man muss bereit dazu sein. Dann tritt vielleicht ein seelischer Reparatur-Mechanismus ein: Diese Menschen wollten unbewusst ihr Leben ändern, und die Todeserfahrung schob sie in eine neue Richtung.

Eine Passage im Johannes-Evangelium fügte sich an. Jesus Christus macht im 3. Kapitel Nikodemus klar: »Amen amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.« Ein Tod ist nötig, damit eine Neugeburt erfolgen kann: ein Tod noch vor dem Tod (analog zum Leben nach dem Leben des Raymond Moody). Der alte Mensch muss sterben. Der neue Mensch hat dann andere Wertigkeiten. Er hält nichts mehr von flüchtigen Gütern und erkennt, dass es um Liebe und Wissen geht, um den Weg zu sich selbst und damit zu Gott, der in ihm verborgen ist.

Nikodemus fragt, wie ein alter Mensch neu geboren werden könne, und Jesus erwidert: »Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.« Der Geist muss neu werden und den Sinn sehen; wer aus seiner alten Körperlichkeit und mit dem  westlichen Habenwollen im Herzen hinübergeht, wird blind sein und es schwer haben, sich zu ändern. Das Leben hier auf Erden ist unsere Schule, hier müssen wir neu werden und wenn nötig, jeden Tag, wie Konfuzius einmal meinte.

Bilder: Oben der Seher, Stich aus em 16. Jahrhundert; rechts: Foto von Jack Delano (1914-1997) in einer Klinik in Chicago

 

 

 

 

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