Rückkehr ins Leben (6): Herr Constantin

Genau andersherum kann es auch gehen: Jemand will in seine frühere Identität zurück, sagen wir nach einem längeren Aufenthalt in der Justizanstalt, in der Psychiatrie, in einem Lager (früher). Er oder sie hat ein Stigma und dadurch Mühe, sozial wieder anerkannt zu werden. Eine Geschichte um den Versuch einer Rückkehr ins Leben, beträchtlich erschwert durch die uneinsichtige Bürokratie, ereignete sich in Rumänien, und es gibt einen Film darüber.

afis_Invierea-domnului-Constantin-480x668Ein Mann will sein früheres Leben wiederhaben, doch der Staat verweigert ihm — aus obskuren bürokratischen Gründen — einen Personalausweis. Das zeigt der Dokumentarfilm Învierea domnului Constantin von Cornel Brad (2018, 45 Minuten; mit englischen Untertiteln). Constantin Reliu, 1955 im Nordosten Rumäniens geboren, heiratete, doch bald nahm sich seine Frau Liebhaber. Um sie zu bestrafen (sagte er), ging er 1992 fort, in die Türkei. 1999 bei dem Erdbeben dort wurde er schwer verletzt; seine Frau, die nicht davon wusste, ließ ihn für tot erklären, wonach sie nach Italien zog und heiratete.

2016 deportierten die türkischen Behörden den Constantin, schickten ihn zurück, und er ging ins heimatliche Bálad zurück. Allerdings ohne Pass, weshalb er keine Arbeit bekam und von Almosen leben musste. Seine Frau verklagte er wegen Bigamie (doch er existierte ja nicht; außerdem galt er für tot!). Die Geschichte des vermeintlich Toten, der nicht als Lebender anerkannt wurde, onbwohl er leibhaftig im Amt auftauchte, sprach sich herum.

Der Film Die Auferstehung des Herrn Constantin wurde an Ostern 2018 gedreht, und obschon damals Christus wieder einmal auferstanden war, fühlte sich der frühere Koch wie in einem Niemandsland. Aber im Juli 2018 erweckten ihn  die Behörden von den Toten. Constantin Reliu beantragte die Scheidung und wollte Schmerzensgeld von seiner Frau. Tom Ruffles, durch den ich auf den Film kam, schloss messerscharf: Relius Versuch einer Bestrafung seiner Frau scheiterte auf grandiose Weise und schlug auf ihn selbst zurück.

± ± ±

Das ist kein Einzelfall. Luigi Pirandello bietet in einem viel später erstellten Nachwort zu seinem Roman Il fu Mattia Pascal (1904) eine wahre Geschichte, am 20. März 1920 von der Zeitung Corriere della Sera aufgedeckt, und da trifft der Vorwurf Bigamie, und hier erlebt wiederum ein Mann seine Auferstehung:

Am 26. Dezember 1916 war aus einem Kanal bei Calvairate ein Toter gefischt worden, den Maria Tedeschi als ihren Mann Ambrogio Casati di Luigi identifizierte, geboren 1869. Auch Luigi Maioli sagte: Er ist es, obwohl das Opfer dem Casati nur ähnlich sah. Sieben Monate später heirateten die beiden ohne Probleme. Der wahre Ambrogio Casati indessen saß seit 21. Februar 1915 im Gefängnis und wurde am 8. Mai 1917 entlassen, wonach er lernte, dass er tot sei, seine Frau erneut verheiratet und untergetaucht. Der Mann begab sich zum Einwohnermeldeamt Mailands. Die Zeitung schilderte:

sanmichele3Der Angestellte hinter dem Schalter machte ihm ohne jeden Zweifel klar:
»Aber Sie sind tot! Ihr Wohnsitz ist im Friedhof von Musocco, Begräbnisfeld 44, Grab Nummer 550 …«
Jeglicher Protest dessen, der als lebend erklärt zu werden wünschte, war fruchtlos.

Casati schlug vor, sein Recht auf … Auferstehung in Anwendung zu bringen, und nachdem ihm dies gelungen war und er seinen Zivilstand zurück hatte, wurde die zweite Ehe seiner »Witwe« annulliert. 

Ambrogio Casati soll danach zu seinem Grab gegangen sein, um dort einen Strauß Blumen niederzulegen und ein Lichtlein zu entzünden.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.