Komparsen in Kulissen
Die Tage über Neujahr verbrachte ich in einem Südtiroler Dorf, in St. Ulrich. Im Ort nebenan, in S. Christina, war ich vor 40 Jahren einmal mit Freunden. Zwar erinnere ich mich nicht, wie damals er aussah, aber heute ist er über alle Grenzen hinaus gewuchert.
Dort wie in St. Ulrich ist jedes zweite Haus ein Hotel und jedes dritte ein Restaurant. Wenn die Skifahrer von den Pisten zurück sind, geht es im Ortszentrum zu wie auf einem wichtigen Bahnhof, und am Abend sind alle Gasthäuser ausgebucht und voll. Die Woche nach Weihnachten ist der teuerste und begehrteste Zeitraum des ganzen Jahres. Die Südtiroler, die vom Tourismus leben, sind froh, denn letztes Jahr ging gar nichts.
In Brixen (Bressanone) sind in dem alten Gemäuer des Zentrums, also in Arkaden und Gebäuden aus dem 17. Jahrhundert, die wichtigen Konsummarken in Mode und Wintersport mit Läden vertreten. Die Altstadt ist Kulisse für die Namen, die für schöne edle Sachen stehen. Die Verkäuferinnen wirken wie Komparsinnen, die Verkäuferinnen spielen, und die Umherschlendernden spielen die Kunden, denn eigentlich haben sie ja alles, sie wollen bloß Ski fahren und gut essen, sind aber im Urlaub und in Ausgebe-Laune. Hab ich in Südtirol gekauft.
Ströme von Touristen wälzen sich durch Gassen und schauen, dann trinken sie einen Kaffee und essen ein Brötchen und gehen wieder weg. Tourismus ist ja nur Zeitvertreib und führt nicht zur Begegnung mit anderen Menschen. Die Anbieter tun alles, um den Gästen zu gefallen, und sie verkaufen ihre Seele dadurch, unweigerlich. Diese Orte sind ohne Seele, und man freut sich schon, wenn man ab und an das dortige Idiom hört.
Hakim Bey hat einmal über Sufi Travel geschrieben und betont, dass der Tourist von dem lebt, was anders ist als bei ihm zu Hause; das schaut er an und frisst es dadurch auf, verleibt es sich ein, und sein Einfluss verändert nach und nach die Umgebung, bis nur noch Kulissen bleiben und das Gefühl, im Restaurant werde einem Südtirol vorgespielt.