Im Niemandsland

Bardo ist ein tibetisches Wort. Bar heißt dazwischen, also etwa Niemandsland zwischen zwei Zuständen, und do ist ein Turm, eine Insel oder ein Steg im Dazwischen. Wir sind aus der Vergangenheit hervorgegangen, sehen die Zukunft aber noch nicht, aber einen Weg wird es geben hinüber, irgendwohin. Solche Grenzerfahrungen machen wir häufig, und Chögyam Trungpa meinte: ständig.

Bardo sei nicht nur der Übergang zwischen Leben und Tod, sagte Chögyam Trungpa 1971 in Allenspark. Er sagte:

Bardo ist wie ein Fluss, der weder zum jenseitigen noch zum diesseitigen Ufer gehört, aber mittendrin, dazwischen, ist eine kleine Insel. … Die lebendige Bardo-Erfahrung kommt nur zustande, wenn man den Hintergrund des Raums sieht. Und darin, in diesem Raum oder dem Gewahrsein des Raums, blitzt etwas auf, ein Funke.

Im Orient wäre der entsprechende Ausdruck barzakh. Wir erleben eine Grenzerfahrung, wir treiben aus einem Zustand in einen anderen.

Flughäfen sind Niemandsländer und Räume für Grenzerfahrungen. Mit ihrem Luxus und ihrer distanzierten Eleganz wollen sie uns den Abschied erleichtern. Wir sind mit unserem Gepäck angekommen, orientieren uns und gehen dann endlose Korridore entlang, lassen uns von Bändern transportieren und hasten durch Einkaufszonen. Wir sind verwirrt. Die Vergangenheit haben wir hinter uns gelassen, und bald werden wir hinauskatapultiert in die Luft, um in einem fernen Land abgesetzt zu werden. Das lässt niemanden unberührt.

Im Flughafen Zürich entdeckte ich erst kürzlich den Übergang zum brandneuen Einkaufs- und Geschäftszentrum The Circle. Der etwa 100 Meter lange Korridor oder Tunnel beschenkt dich mit einem psychedelischen Erlebnis, wenn elektronische Musik von oben herabträufelt und um dich schwebt. Geh hinein bis zur Hälfte, wo sich eine Glastür öffnet und dir das Ziel zeigt.

IMG_1260Du drehst dich um und blickst zurück. Du siehst dich im Glas und weißt nicht, wo du bist.

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Von dort hinten bist du gekommen. Doch du kannst nicht dahin zurück, es ist unwiderruflich. In der Ferne gehen Menschen mit Koffern vorbei, aber es ist, als lebten sie in einer anderen Dimension. Du aber musst dich von deinen Anhaftungen befreien; was war, das war und zählt nicht mehr. Gestatte dir einen letzten Blick, dann wende dich ab.

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Schau nach vorn! Die Musik umgibt dich, du bist plötzlich nicht mehr richtig da, alles wäre so auch ohne dein Hinsehen, du bist ein Punkt in einem Tunnel, als würdest du selber schweben. Brian Eno, geboren 1958, hat einmal das Album Music for Airports gemacht, das ist die richtige Begleitung. Es zieht dich weiter.

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Und so wäre es auch am Ende des Lebens. Etwas saugt dich an, du fliegst hinein, an den Wänden siehst du die Bilder deines Lebens, du erlebst Schmerz und Glück, und am Ende des Flugs verharrst du in einem grauen Raum, und da »blitzt etwas auf, ein Funke«, wie Chögyam Trungpa schrieb, und dieses Licht kommt auf dich zu oder du bewegst dich auf es hin, und wenn es dich einhüllt, bist du daheim, dort und überall, wo du ankommst, wenn du Freude in dir hast. Denn du wirst geliebt.

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