Doppelrolle

Den Film Nastasja hat Andrzej Wajda aus Polen 1994 mit japanischen Darstellern und in japanischer Sprache gedreht (es gibt englische Untertitel). Bandō Tamasaburō spielt Fürst Myschkin und dann auch Nastasja Filipowna, die der Fürst und Parfen Rogoschin leidenschaftlich lieben. Diese Doppelrolle ist der besondere Trick des Films und brachte mich ins Nachdenken. Das hat Wajda sicher bezweckt.

Die erwähnten Personen (der Fürst, Nastasja, Rogoschin) sind die wichtigsten in dem Buch Der Idiot von Fjodor Dostojewski (1821-1881), das ich immer geliebt habe. Neuerdings aber stößt mich das Selbstquälerische bei Dostojewski ab. Manchmal wird das unerträglich.

OIP.hZWW2Duf_sYitUsNDkioKQHaKmDer 1950 geborene Bandō Tamasaburō ist ein berühmter onnagata, also ein Darsteller von Frauenrollen, kann man lesen. Der Fürst liebt Nastasja aus Mitleid, Rogoschin will sie bestrafen und schlagen; die im Roman stolze, geradezu hoffärtige und hochfahrende Frau dient den beiden Männern sozusagen als Projektionsfläche und spielt im Leben jeder der beiden eine (jeweils andere) Rolle. Theater/Film greifen da ins echte Leben ein. Meine Freunde und Bezugspersonen füllen jeweils ein anderes Spektrum aus und passen auf je individuelle Weise zu mir. Sie sind auch ich, könnte man sagen.

Sie haben vielleicht einen Charakterzug an sich, den ich an mir nicht entwickelt oder sogar unterdrückt habe, und dafür liebe ich sie, und ihre anderen Eigenheiten nehme ich dafür in Kauf. Ich gebe Leuten eine Rolle wie ein Regisseur und halte sie darin fest, deshalb rollen immerzu dieselben Interaktionen ab. Ich erschaffe meine eigene Bühne. Das Bewusstsein ist das, was sich projiziert. Wir finden uns im anderen wieder, am Du schult sich das Ich, und Hegel schrieb in seiner Phänomenologie des Geistes über das Selbstbewusstsein, sein

erster Zweck ist, seiner als einzelnen Wesens in dem anderen Selbstbewusstsein bewusst zu werden  oder dies Andere zu sich selbst zu machen; es hat die Gewissheit, dass an sich schon das Andere es selbst ist.  

Könnte sein, dass jemand etwas strenge Freundinnen und Freunde hat. Das sagt etwas aus über diesen Menschen; und bei mir ist das zufällig so. Die Freunde verkörpern meine anderen Persönlichkeitsanteile, die in Kategorien wie Schuld und Sühne denken. Außerdem hatte ich harte Großmütter, und die mächtige Frau ist mein Leitbild, an dem ich mich abarbeite. Man muss seinen Schatten erkennen und ins Leben integrieren, dann verliert das Spiel rasch an Gefährlichkeit.

Vielleicht spiele ich andererseits im Leben der anderen die Rolle des Weichmachers, des liebenswerten Unterhalters, der dem Leben etwas die Schwere nimmt (was auch trügerisch sein kann, wenn man manipogo kennt). So tanzt das Leben zwischen zwei Polen hin und her und versucht, eine lebbare Balance zu finden. Und wie immer geht es um die Erkenntnis. Man soll wissen, und das gelingt, wenn man Distanz hält zu sich und dem, was einem passiert. Man sollte alles analysieren — und dann, nach der buddhistischen Regel, gleich wieder vergessen, denn zu viel Kopf stört beim leben.

 

 

 

 

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