Die Kunst der Verwirrung
Wen spielen wir? wurde bei manipogo an Halloween gefragt. Das verfolgen wir nun. Das Schlussbild des Beitrags (von Lorenzo Lippi) spiegelte die Simulation wider, war eine Allegorie auf die Schauspielkunst und wirft die Frage auf: Wie stehen Film und Theater zum Leben?
Ein Interview mit dem französischen Regisseur Robert Bresson (1901-1999) war erhellend. Bresson drehte nur wenige Filme in seiner langen Karriere, was daran lag, dass er keine Geldgeber mehr fand. Diesen missfiel, dass er nur noch Laienschauspieler einsetzen wollte. (Rechts ein Kinoplakat von »Die Engel der Sünde«, 1943; der Regisseur ist links zu sehen.) Bresson hat sich viele Gedanken gemacht und kann uns viel sagen. Über die Schauspieler und ihn, den Regisseur, sagte er damals, 1975:
Da sind sie, und da bin ich, und es gibt einen Austausch von Energie zwischen uns. Da herrscht eine Art Divination, eine stillschweigende Übereinstimmung. … Ich will das Leben reproduzieren, ohne es zu imitieren; wenn wir das Leben imitieren wollen, kommen wir zur Falschheit. Ich suche Schauspieler mit Natürlichkeit, aber ohne Natur. … In einer Großaufnahme sieht man oft, dass die Darsteller abwesend sind, nicht bei sich. Ich suche wahren Charme.
Und den fand er nur bei Laiendarstellern, denen er nur ihren Text gab; sie sollten überrascht werden und sich einleben in die Geschichte. Den Text sollten sie 50 Mal wiederholen und eher so lernen, als bestünde er aus sinnlosen Silben wie in einer Fremdsprache. Dann entstehe manchmal etwas Überraschendes.
Kunst brauche die Überraschung, und am Tag vor dem Dreh wisse er noch nicht (sagte Bresson später, 1983), was er am nächsten Tag machen werde. Beim Drehen warte er auf den spontanen Einfall, an den er glaube wie an den Zufall. Er wolle Gegenwart, ansonsten langweile er sich. Schön soll alles werden, aber neu auch. Wüsste ein Maler genau, wie sein Bild ausfallen würde — warum dann noch malen?
Der heutige Film sei »verfilmtes Theater«, und das Theater sei leblos, da die Schauspieler ihre Rollen lernten und auch dächten. Dann betonte Bresson noch:
Ich möchte, dass der Geist nicht verwickelt ist in die Dinge, die passieren.
Das führt uns zu Bertolt Brechts epischem Theater. Die Schauspieler dürften nie vergessen, lehrte er, dass sie spielen; sie sollen nicht ins Stück verwickelt sein durch zu starke Identifikation. Man müsse immer merken, dass sie agieren. Das kannte Bresson sicherlich, doch Brechts Theater blieb immer ein Programm für Minderheiten.
Brecht wollte eine intellektuelle Auseinandersetzung des Zuschauers mit dem Stück. Bei ihm wird der Zuschauer Teil der Handlung, zu einem Betrachter, dessen Aktivität geweckt wird. Die Zuschauer sollten irritiert werden.
Diese Irritation wird grenzenlos im Theater der Grausamkeit von Antonin Artaud (1896-1948). Das muss man vielleicht gesehen haben, Schilderungen bleiben blass. Der Text wird zerhackt und unwichtig, Schreie gibt es, Schweigen und das Atmen, exotische Kostüme und viel Grausamkeit, denn Artaud hielt die Welt für grausam: Sie war das Double seines Theaters. Das Stück 4:48 Psychosis von Sarah Kane wird hier von einer Gruppe aufgeführt. Da entsteht Verwirrung, wenn auch nicht eine, die direkt zur Erkenntnis führt, aber Verwirrung ist schon einmal nicht schlecht.
So sagt ja schon im Vorspiel auf dem Theater (zu Goethes Faust) der Direktor zum Dichter:
Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
So könnt ihr Euch vom Ziele nie verirren
Sucht nur die Menschen zu verwirren.
Sie zu befriedigen ist schwer — —