Rückkehr ins Leben (9): Sanfte Worte
Eine alte Geschichte über jemanden, dem die Hinrichtung erspart bleibt, hing etwas in der Luft. Da fiel mir ein Witz zu dem Thema ein (aus dem altbekannten Buch mit den 3000 Witzen), und der Beitrag konnte vom Stapel laufen. Ich bin selber gespannt, wann mir demnächst wieder eine Geschichte dazu über den Weg läuft.
Der Wert sanfter Worte nennt sich eine Episode aus dem Bustan von Sadi (1184-1283).
Der Sklave eines Königs entkam und wurde nicht gefunden, obwohl eine langwierige Suche angestellt wurde. Als der Flüchtling später zurückkehrte, ordnete der wütende König an, dass er hingerichtet werden solle. Als der Henker seinen Krummsäbel herauszog, wie die Zunge einem Durstigen aus dem Mund hängt, da rief der Sklave aus:
»O Gott! Ich vergebe dem König, dass er mein Blut vergießen ließ, denn ich habe lange Zeit von seiner Großzügigkeit gezehrt und von seinem Wohlstand profitiert. Lass ihn für diese Tat nicht am Tag des Endgerichts leiden, auf dass seine Feinde triumphieren.«
Als der König diese Worte hörte, war sein Ärger besänftigt, und er beförderte den Sklaven zum Offizier seines Heeres.
Die Moral dieser Geschichte ist, dass eine sanfte Rede wie Wasser das Feuer der Wut besiegt. Tragen die Soldaten auf dem Schlachtfeld nicht Rüstungen, die aus hundert Lagen Seide gewebt sind? O Freund! Sei demütig, wenn du es mit einem grimmigen Feind zu tun hast, denn Freundlichkeit wird das schärfste Schwert stumpf machen.
Nun, diese Freundlichkeit hatte durchaus ihre Kanten. Angst machen kann manchmal helfen. Früher machte man sich Sorgen, man könnte in der Hölle landen, und der Koran spart ja nicht an schlimmen Drohungen; auch bei den Muslims sollen Ungläubige und Böse auf ewig in der Hölle braten. Der König handelte so, wie es Pascal 300 Jahre später vorschlug: Im Zweifelsfall glaube ich an ein Endgericht und lasse ihn frei, man weiß ja nie; und wenn’s nichts gibt, ist auch nicht viel passiert, nur ein ungehorsamer Sklave wurde nicht bestraft.
Und nun der Witz, bei dem zwei von drei Delinquenten überleben. Beim dritten sind wir uns nicht so sicher. Ich erzähle das aus dem Gedächtnis:
Ein Franzose, ein Italiener und ein Deutscher sollen hingerichtet werden. Jeder habe einen Wunsch frei, hören sie, damit er die letzten Sekunden seines Lebens möglichst angenehm verbringe. Wie er liegen wolle? wird der Franzose gefragt. Er sagt: »So, dass ich die Waden der Mädchen betrachten kann, die vorübergehen.« Der Henker hält sich daran, löst das Fallbeil aus, doch es klemmt und bleibt wenige Zentimeter vor dem Hals des Verurteilten hängen. Der Franzose wird begnadigt. Nun ist der Italiener dran. Wie er gelagert werden wolle? »Bitte so, dass ich den wunderschönen azurblauen Himmel betrachten kann!« Man legt ihn auf den Rücken, bindet ihn fest, lässt den Strick los — und wieder knirscht es und das messerscharfe Beil blockiert kurz vor dem Hals des Italieners, der ebenfalls freikommt.
Dann fragt man den Deutschen, was er wolle. Der winkt ab und sagt: »Leute, bevor wir damit anfangen, bringt erst einmal euer Fallbeil in Ordnung!«