Die Schattenfrauen von Zelle 52
Das wird eine schwierig zu schreibende Geschichte mit vielen Fragezeichen. Wir machen uns dran! Jean Sasson, 1950 im Süden der USA geboren, hat 14 Bücher über Frauen im Nahen Osten verfasst, von denen ein paar Bestseller wurden, weil sie von Prinzessinnen handeln. Eins geriet mir in die Hände: Mayada — Tochter des Irak. Beklemmend.
Die Amerikanerin berichtet zunächst, sie habe Mayada al-Askari als Dolmetscherin kennengelernt, und dann erzählt sie deren Geschichte. Mayada entstammt einer der prominentesten Familien des Irak. Vorfahren waren berühmte Staatslenker und Minister. 1999 betrieb sie einen Copyshop in Bagdad, als Geheimpolizisten sie ins Gefängnis verschleppten. Sie wurde verhört und gefoltert, kam nach zehn Tagen jedoch wieder frei. Am Tag der Befreiung Iraks von dem Diktator Saddam Hussein durch die Amerikaner, am 9. April 2003, schreibt sie einen Brief an ihre ehemalige Mitgefangene Samara und erzählt, wie sich alles entwickelte bei ihr.
Alles entwickelte sich gut, Mayada lebte in Amman: ein Happy end. Wir klappen das Buch zu, das auch auf Deutsch erschienen ist. Doch irgendwie ist man unzufrieden und fühlt sich unbehaglich. Das Buch hinterlässt Trauer — wegen all dem, was es nicht beschreibt. Mayada fragt im Brief Samara:
Wo bist Du? Feierst Du die Befreiung des Irak mit Deiner Familie? Oder hast Du den Preis der Freiheit zahlen müssen, über die ich mich so freue? Haben Dich Saddams Folterknechte in Baladiyat ermordet, lange bevor dieser Krieg geführt wurde?
Es ist ein Brief an eine Abwesende, vermutlich Tote, der rührselig geschrieben ist. Dahinter steckt Berechnung, es ist alles zu süß und zu grausam, in einem schlichten Stil geschrieben und ohne gedankliche Tiefe. Es geht um den Tyrannen, es geht um die Folterszenen und das Schreien der Frauen, die dann zerschlagen in die Zelle zurückkommen, um am nächsten Tag wieder gefoltert zu werden. Das wollte ich gar nicht so genau wissen und las es eher quer. So schrecklich die Erfahrung in Zelle 52 auch war: Mayada schaffte es hinaus, für sie war es ein kurzer Alptraum. (Illustration: Blick von der Haidar-Khana-Moschee auf Bagdad, Matson Photo Service, zw. 1950 iund 1977, courtesy Library of Congress)
Das ist das Problem: Nur Überlebende können berichten, und freuen wir uns über eine, die herausgekommen ist, so sind da die 17 anderen Frauen, die es vermutlich nicht geschafft haben. Mayada hat man rasch vergessen, sie war privilegiert, irgendeiner kannte einen anderen im Ministerium, das Missverständnis wurde aufgeklärt, sie kam frei.
Was ist mit denen, die untergingen? Wer denkt an sie außer ihren nächsten Angehörigen? Die Schattenfrauen bleiben weitgehend im Schatten, und die Prinzessin schwebt davon wie auf dem Zauberteppich. Nur die aus besseren Kreisen erhalten eine Stimme. So ist dieses Buch auch Kolportage und reißerischer Bericht, was zur US-Literaturszene passt. So sind Bücher geschrieben, die dann auch vefilmt werden. Man sollte sich einmal die US-Covers von Sassons Princess-Serie anschauen: Dann glaubt man nicht mehr, dass es hier um die Menschenrechte arabischer Frauen geht. Eine Österreicherin hat Jean Sasson einmal des Plagiats angeklagt — sie habe ihren erste Prinzessinnen-Roman bei ihr abgekupfert —, aber sie verlor den Prozess. Richard H. Curtiss, Reporter bei der Washington Post, beklagte schon 1996, Frau Sasson zeige die Araber gern im schlechten Licht.
Das mit den Folterkellern ist nun nicht zu bezweifeln. Wie die Bewacher der Konzentrationslager lebten die Folterer luxuriös und machten sich dann in der Nacht an die »Arbeit«. Interessant ist das Buch, weil es zu Gedanken darüber anregt, wie Folterkeller entstehen.
Da kommt ein Mann an die Macht im Staat und will sie behalten. Er fürchtet jedoch, sie zu verlieren, der Verfolgungswahn packt ihn. Er gründet eine grausame Geheimpolizei, bringt primitive Männer auf seine Seite, die wegen Dummheit sonst nie Karriere gemacht hätten, manipuliert die Justiz und lässt alles laufen. Das System schafft sein eigenes Chaos. Menschen werden eingekerkert und gefoltert, auch wenn niemand von ihnen weiß, wieso, und die Folterer wissen es auch nicht. Sie leben allerdings ihre sadistische Seite aus, und wenn Männer Frauen foltern, leben sie ihre perversen Triebe aus, doch Folterer sind ohnehin Monster, da müssen wir nicht geheime Motive dahinter ergründen wollen.
Der Hintergedanke in Unrechtssystemen ist: Alle sind schuldig, ohne es zu wissen. Niemand stirbt schuldlos. Jeder Tod ist richtig. Als spräche eine böse Gottheit.
Der Aufseher lachte ununterbrochen: »Ich bin euer Gott!« Seine Männer lachten mit ihm. (… ) Gegen Morgengrauen vernahm Mayada den melodischen Ruf zum Gebet: »Gott ist groß! Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Gott!«
Ein regimetreuer Minister wird in der Nacht abgeholt und erschossen. Man weiß nicht warum. Vermutlich hatte ihn jemand verleumdet. Die Revolution frisst ihre Kinder, hieß es, und so war das in der Französischen Revolution (von 1789 bis 1799), in Russland unter Stalin (30 Millionen Opfer), in Kambodscha unter Pol Pot, unter den südamerikanischen Diktatoren und freilich auch unter den Nationalsozialisten. Eugen Kogon hat in dem Buch Der SS-Staat dargelegt, dass es hinter deutschen Kulissen auch anarchisch zuging, weil alle sich um ein Stück Macht rissen.
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Schenken wir einen Gedanken all jenen Schattenfrauen, die, wenn sie überlebt haben, die andauernde Tortur nie mehr vergessen können (Jean Améry hat über die Folgen der Folter geschrieben), das Warten auf die Folter nicht und nicht die Schreie der Mitgefangenen; und ein paar Gedanken an die vielen Millionen, die im 20. Jahrhundert anonym und einsam qualvoll starben. Sie haben es überstanden und sind frei. Ihre Folterer nicht. Sie sind keine Menschen, die glücklich werden können, und auch sie werden einmal erkennen, was sie getan haben und von den Schreien verfolgt werden viele Jahre.