Gespenster aus Schweden

»Gänsehaut« wünschte die schwedische Krimi-Autorin Helene Tursten (geboren 1954) ihren Lesern zum Einstieg in den Band Die Frau im Fahrstuhl (2004). Ich erzählte eine davon einer Kollegin, und sie sagte: »Da krieg‘ ich Gänsehaut.« Frau Tursten schrieb, sie habe lang in einem Krankenhaus gearbeitet und erzähle die Episoden so, wie sie ihr erzählt worden seien. Ich nehme ihr das ab, hundertprozentig. 

In der Literatur ist die Zeit der Geistergeschichten leider vorbei. Unsere Mitbürger sind heute realistisch und bodenständig, kaum jemand glaubt noch an Geister. Doch wenn ich mit Bewohnerinnen im Altenheim rede, erzählt zuweilen eine, der Schemen ihres Mannes sei neben ihr am Bett gewesen und verschwunden, als sie ihn angesprochen habe; oder eine andere, der Verstorbene sei ganz dicht bei ihr gewesen, sie habe ihn »schnaufen« gehört, und er habe deutlich gesagt: »Sollst aufhören zu weinen, mir geht’s gut.«

Ich will von den elf Geschichten in dem Tursten-Erzählband vier wiedergeben. Dafür muss ich leider die Pointe verraten, doch das Buch ist ja schon 18 Jahre alt, es sei mir verziehen. Manche Geschichten kenne ich aus anderen Epochen; da gibt es ein Muster. Zum Beispiel die Sache mit Brennender Hass. Die Erzählerin und ihr Mann fahren mit dem Auto durch Schottland, sehen in einem abgelegenen Cottage eine Frau, die sei herwinkt, aber seltsam unbeteiligt bleibt. Sie schlafen, erschöpft wie sie sind, im Bett ein, als plötzlich in der Nacht Flammen um sie züngeln. Feuer! Sie flüchten und fahren weg, und da stutzt der Mann: Es sei nicht heiß gewesen, das Feuer, und Rauch habe es auch keinen gegeben.

036Die beiden suchen eine Polizeistation auf, lassen sich von dem Kommissar zum nämlichen Ort begleiten — doch da steht kein Cottage, nur eine Ruine. Dahinter verbarg sich eine Tragödie: Annie hatte heiraten wollen, ihr Geliebter allerdings entschwand und heiratete eine andere. Als das Paar zufällig nach einem Schiffbruch im Cottage übernachtete, setzte Annie das Haus in Brand, und alle kamen um. Das gibt es bisweilen, dass man durch eine »Zeitfalte« in ein vergangenes Jahrhundert gerät (dazu haben wir auf manipogo zwei Gedichte, die auf wahren Begebenheiten beruhen) und das betreffende Haus apäter nie mehr wiederfindet. Und Fanny Moser, die ein Buch über Spuk recherchiert hat, wusste von den Mimikry-Geräuschen: Eine Tür schlägt zu, aber es ist nur fiktiv, und Feuer bricht aus, doch es ist nur Theater.

In Feuergefährliche Weihnacht geht es wieder um einen Brand. Der Erzähler hat ein anstrengendes Weihnachtsfest hinter sich und schläft rasch ein, und dann:

2022-01-27-0001Ich erwachte davon, dass mir jemand hart auf die Brust schlug. Ich meine mich zu erinnern, drei Schläge gespürt zu haben. Als ich mich im Bett aufsetzte, um zu sehen, was los war, sah ich zu meiner Überraschung eine dunkle Gestalt am Fußende meines Bettes stehen. Als ich etwas benommen fragte, was mich geweckt habe, streckte die schemenhafte schwarze Gestalt nur den Arm aus und deutete auf die offene Schlafzimmertür. Die weißen Schranktüren in der Diele reflektierten einen schwachen Lichtschein. Mit einem Mal war ich hellwach. Es brannte!

Sie hatten eine Kerze vergessen. Wer der Warner war, fanden sie nicht heraus. Vielleicht ein verstorbener Verwandter oder ein Engel.

Jenseits von Cyberspace ist am gelungensten. Sven wird pensioniert, da stirbt seine geliebte Frau Anna. Ein Jahr braucht er, um sich davon zu erholen. Er möchte umziehen — nach Fridendamm. Ihm wird erklärt, dass er acht Jahre warten müsse. Doch, o Wunder, nach acht Wochen kann er umziehen. Sven möchte bei einer Reise zu Weinorten an der Loire dabeisein, doch: zwei Jahre Wartezeit. In der Woche darauf erhält er den Anruf: Sie können mitfahren. 2022-01-27-0002Sven ist beglückt und denkt sich nichts dabei. Dann stehen zwei Rettungssanitäter vor der Tür. Sie sollten ihn in die Notaufnahme des Krankenhauses bringen, sagen sie, doch sie seien eine Stunde zu früh. Sven sagt: Missverständni. Er schickt die Männer weg. Plötzlich bekommt er eine Mail und liest:

»Sven! Du hättest den Krankenwagen nicht wegschicken sollen! — A.«

Sven hat nur zehn Sekunden, um sich zu wundern, dann schießt ihm ein wahnsinniger Schmerz in den linken Arm, sein Herz fängt an zu pochen, er stürzt zu Boden und ist tot.

Und was ist mit der Frau am Fahrstuhl, die immer um Mitternacht hochfuhr in die Büroetage und zurückkam, im grünen Kostüm und eleganten Schuhen, eine junge Frau? Die Krankenschwestern verfolgen sie, doch sie gleitet irgendwie über den Rasen und verschwindet in einem kleinen Gehölz. Recherchen ergeben: Sie war mit dem alten Chefarzt verheiratet, hatte eine Affäre mit einem jungen Arzt und verschwand mit ihm nach Amerika. So sagte man. Andere wollten wissen, der Chefarzt habe das Paar in sein Büro gelockt, es getötet und in dem Gehölz verscharrt.

 

 

 

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