Der Sekretär
Bleiben wir beim Sekretär. Bekannter freilich ist die Sekretärin, die neuerdings zur Office Managerin befördert wurde. Gönnen wir es ihr! Ich dachte kürzlich an die Sekretärs-Gestalten in der Literatur, und darüber möchte ich mich nun verbreiten, denn die Beziehung von ihm zu seinem »Chef« ist vielschichtig und interessant.
Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt, hatte seinen getreuen Helfer Sancho Pansa; Kara Ben Nemsi, das orientalische Ego von Karl May, der im Wilden Westen Old Shatterhand war, wurde in der Wüste von Hadschi Halef Omar begleitet; der Professor in dem Roman Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer hatte seinen dienenden Freund Conseil bei sich, und in einem anderen seiner Romane schickte Jules Verne dem Londoner Phileas Fogg einen Franzosen, Jean Passepartout, und beide reisen in 80 Tagen um die Welt. Das sind Stoffe aus (heute nicht mehr recht bekannten) Romanen (Oben: in der Mancha, der spanischen Gegend von Don Quijotte und seinem Autor Cervantes, 2012).
Jesus Christus bevorzugte einen Jünger, Johannes, und Buddha schätzte seinen Helfer und Lieblingsschüler Ananda, den er vor den Mönchen »Mann großer Weisheit« nannte. Die Gedanken des Kabbalisten Isaak Luria (1534-1572) wurden erst durch die Aufzeichnungen seines Schülers Chajim Vital bekannt, und Goethe hatte seinen braven Biografen Eckermann, dem er sein Leben erzählte. Alles Männer. Sie setzen auf die Hierarchie, sind aber mit Nonchalance bereit, sie aufzuheben und den Helfer zum Freund zu erklären.
Wir Älteren haben viel Karl May gelesen, der von 1842 bis 1912 lebte. Durch die Wüste war der erste einer langen Reihe von Büchern, die im Orient und auf dem Balkan spielen. Der Erzähler (Kara Ben Nemsi) schildert Halef als kleines Kerlchen, das unscheinbar wirkte (unten die beiden im Film »Der Schut«, 1964. Links Ralf Wolter als Hadschi Halef Omar, rechts Lex Barker als Kara Ben Nemsi):
Aber trotz dieser äußerlichen Unansehnlichkeit musste man alle Achtung vor dem Kleinen haben. Er besaß einen ungewöhnlichen Scharfsinn, viel Mut und Gewandtheit und eine Ausdauer, die ihn selbst die größten Beschwerden überwinden ließ. Und da er außerdem alle Mundarten sprach, die zwischen dem Wohnsitz der Uëlad Bu Seba und den Nilmündungen erklingen, kann man sich denken, dass er meine volle Zufriedenheit besaß und dass ich ihn mehr als Freund denn als Diener behandelte.
Das ist ziemlich herablassend geschrieben. Doch der Held will ja groß herauskommen, darum braucht er einen kleinen schrulligen Diener. In der Idealbesetzung ist dieser unauffällig, diskret, verständnisvoll und effizient. Auf ihn kann man sich hundertprozentig verlassen. Wenn er etwas tut, ist es, als täte man es selbst. Der Diener bleibt im Hintergrund und will keinen Dank, nur seinen bescheidenen Lohn. Er ist froh, sich für jemanden einsetzen zu können, der es wert ist. Er/sie kann so leicht zum »guten Geist« eines Unternehmens werden; mehr dazu morgen. (All das passt eigentlich ideal auch auf die Diener Gottes, doch wir wollen nicht zu religiös werden.)
Mir fiel William ein, der Diener von Dona St. Columb in dem Buch Frenchman’s Creek von Daphne du Maurier. Er arbeitet in deren Haus in Cornwall, war vorher aber für den französischen Piraten tätig, in den sich Dona verlieben wird. Bei ihm verbringt sie ein paar Tage und muss ihr Erlebnis loswerden. Sie bricht in Tränen aus.
»Vergib mir, William«, sagte sie.
»Ja, Lady.«
»So dumm, so unaussprechlich dumm und schwach. Es hat wohl damit zu tun, dass ich so glücklich war.«
»Ich weiß, Mylady.«
»Denn wir waren glücklich, William. Und da waren die Sonne, der Wind und das Meer und Schönheit, wie es sie nie gab.«
»Ich kann es mir vostellen, Mylady.«
»Das passiert nicht sehr oft, oder?«
»Einmal in einer Million Jahren, Mylady.«
Perfekt. Dona sagt an anderer Stelle, William verstünde alles: Es sei, als hätte man einen Beichtvater, der nie ermahnte oder verurteilte. Der gute Diener schweigt wie ein Grab. Er erleichtert einem das Leben, wie es heute Organisationen tun wollen (Banken, Versicherungen), die uns (gegen Geld) von Pflichten befreien, aber wofür befreien sie uns? Haben wir ein Projekt?
Abschließend Georg Friedrich Wilhelm Hegel, weil sein Stück über Herr und Knecht aus der Phänomenologie des Geistes oft zitiert wird, was dessen Verständlichkeit nicht verbessert. Also: Da gibt es den Herrn, den Knecht und das Ding, den Gegenstand der Begierde, mit dem es der Knecht zu tun hat (er bearbeitet etwa für den Chef ein Feld, kocht ein Gericht, bereitet eine Reise vor). Der Herr genießt diesen Gegenstand rein und ist selbstständig gegenüber dem Knecht, der wiederum selbstständig nur gegenüber dem Ding ist (Bild oben links: Herrin und Knecht).
Die Furcht vor dem Herrn (oder der Herrin) erst sei für den Knecht der Anfang der Weisheit und könne dessen Bewusstsein umwandeln, aber nur absolute Furcht. Ähnlich sagten auch die Kabbalisten, die Liebe zu Gott sei stets von Ehrfurcht begleitet, und sie zeichnet vielleicht den guten Diener aus.