Litaneien

An einem Sonntag im Mai pilgerte ich, wie üblich schwarz gekleidet, durch den Speisesaal des Heims und wusste nichts Rechtes anzufangen. Dann schlug ich mein Schott-Messbuch auf (das von 1938) und fing unvermittelt an, die Allerheiligenlitanei zu sprechen: laut und innig, in lateinischer Sprache. Und plötzlich packte es mich selber: Ich sprach die Namen, fand einen Rhythmus und spürte die Kraft der Wiederholung, den Reiz der Monotonie, die dich leert und füllt zugleich. 

Der Vorbeter nennt einen Namen, die Gemeinde antwortet mit Bitte für uns oder erbarme dich, wobei das Ora pro nobis (Bete für uns) viel eleganter klingt, und gesungen wirkt die Lauretanische Litanei, die Maria gewidmet ist, erst richtig gut. Wir haben sie in einem Beispiel aus YouTube als gregorianischen Gesang und dann, etwas variiert, vom Petersplatz in Rom, 7. September 2013.

Papst Clemens VIII. ließ 1601 nur noch die Lauretanische Litanei und die Allerheiligenlitanei zu, die wir hier hören bei der Totenfeier für Papst Johannes Paul II.  Sie führt 36 männliche Heilige und 7 weibliche auf:

DSCN5233Sancta Maria Magdalena, ora pro nobis
Sancte Agatha
Sancta Lucia
Sancta Agnes
Sancta Caecilia
Sancta Catharina
Sancta Anastasia,

und danach heißt es noch:

Alle heiligen Jungfrauen und Witwen, bittet für uns.

Litaneien sind alt, und alle Religionen kennen sie. Der Rosenkranz ist auch eine Litanei, und unvergesslich war für mich als Kind die Darbietung in der Landsberger Stadtpfarrkirche mit den Sätzen der für uns gekreuzigt ist worden / der für uns das schwere Kreuz getragen hat.

Der Moslem hat auch eine Perlenschnur bei sich und betet damit, im Buddhismus gibt es Gebetsmühlen, im Hinduismus Mantras. Die Gläubigen sollen in Trance fallen, die Worte ihre Bedeutung verlieren — der Klang und die Schwingung übernehmen die Regie. Dein Ich muss verschwinden, damit Gott in dich eintreten kann. Bei den Völkern der Frühzeit war die Trommel am wichtigsten, sie brachte die Leute in Trance.

Die Wiederholungen (oder Anrufungen) machen die Litanei aus wie etwa im Psalm 136 aus der Bibel:

Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig.
Danket dem Gott aller Götter, denn seine Huld währt ewig!
Danket dem Herrn aller Herrn, denn seine Huld währt ewig. (…)

Noch 23 Mal endet jede Zeile mit denn seine Huld währt ewig. Im Ägyptischen Totenbuch, das älter ist als die Bibel, steht auch eine Art Litanei, das Kapitel CXLI, das am neunten Tag der Amenti-Feste vorgetragen wird, vom Vater für den Sohn oder vom Sohn für den Vater. Etwa 50 Mal fängt die Zeile an mit für:

(…)
gypten1994-1Für den Gott Thoth;
Für die Götter des Südens, Nordens, Ostens und Westens;
Für die Götter des »Hüfte des Himmels«-Gestirns;
Für die Götter der Toten-Opfergaben;
Für den Gott des großen Schreines;
Für den Gott des Feuertempels;
Für die Götter der Nekropolen;
Für die Götter der beiden Horizonte (…)

Das letzte Wort einer Zeile verhallt; es wird neu angesetzt, du antwortest mechanisch, bist zum Automat geworden, und die Zeit ist ausgelöscht …

 

 

 

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