Psychopathologie

Die Pathologin untersucht, woran jemand gestorben ist. Pathologien sind krankhafte Erscheinungen, die in der Psyche jedoch nicht zum Tod führen. Karl Jaspers (1883-1969) legte 1913 — als 30-Jähriger — sein Lehrbuch der Allgemeinen Psychopathologie vor, das wegweisend wirkte, da er geistige Störungen in eine Ordnung brachte und sie mit philoophischem Hintergrund versah. Manche seiner Sätze aus dem Buch sind tief in mich eingedrungen.

Damit setzen wir unsere Beschäftigung mit der Psyche fort, die gespalten oder zersplittert sein kann oder was immer. Es soll nicht zu schwierig werden; wir begnügen uns mit ein paar Zitaten. Nicht einzelne Menschen wolle Jaspers untersuchen, sondern

das Allgemeine — unser Thema ist der ganze Mensch in seinem Kranksein, soweit es seelisches und seelisch bedingtes Kranksein ist.

Die seltenen, nicht die Massenfälle sind die psychologisch einleuchtenden, durch die auch die Menge der trivialen Fälle erst klar wird. 

Jaspers kümmert sich in seinem Buch auch um das Bewusstsein, unseren größten Schatz. Es ermögliche »reale Innerlichkeit des Erlebens«, sei zuständig für die Subjekt-Objekt-Spaltung, und vor allem wisse das Bewusstsein um sich selbst, was dem Tier verwehrt ist. Ferner sagte Jasper:

Es gibt eine objektive Welt des Geistes. … 4000 deutsche Ausdrücke bezeichnen Seelisches. 

Der Autor hat auch beobachtet,

SDC10483dass in Menschen, die krank werden, eine Tiefe sich zeigt: das Nichts, das schlechthin Zerstörende, das Gestaltlose, der Tod. Die äußersten menschlichen Möglichkeiten werden hier … wirklich. Es kann nicht anders sein, als dass der Philosoph in uns sein Leben lang von dieser Wirklichkeit wie gebannt bleibt und immer nur von daher die Frage hört. 

Und interessant:

Es scheint fast, als ob das Gesunde das Seltenere sei. … Es gibt kein volles und reines Gelingen im Ganzen.

Der ganze Körper lässt sich auffassen als ein Organ der Seele.

Ein wichtiges Zitat! Ich hatte es zunächst vergessen, doch es fiel mir ein, als ich draußen mich auf dem Balkon auf meiner Liege ausgestreckt hatte. Hilfe von drüben! — Das Folgende wollen wir uns merken, da es in nächsten Beiträgen um multiple Persönlichkeiten geht, um die viele Bewegung in uns:

SDC10349Wenn alles Seelenleben die ständige Synthese von Gespaltenem ist, das Zusammenhalten des zur Trennung Tendierenden, so ist die Abspaltung, die endgültig und unüberwindbar wird, abnorm. Das Bewusstsein, der jeweilige Wellengipfel unseres Seelenlebens, ist normalerweise in umfassendem Wechselverkehr mit dem Unbewussten.

Noch ein paar Beobachtungen Jaspers‘:

… die heilende Wirkung von Gemütserschütterungen.

Das verstehbare Leben vollzieht sich in den Gegensätzen.

Die Kranken fühlen sich infolgedessen unfrei, unter fremder Macht, nicht Herr ihres Selbst, nicht ihrer Bewegungen, nicht ihrer Gedanken, nicht ihrer Affekte … gleichsam als eine Marionette, die beliebig in Bewegung gesetzt oder stillgestellt wird.

R.82997cce506928c2f9dc53301dde1177Karl Jaspers hatte an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg seine Arbeit begonnen. 1920 wurde er dort Preofessor. Es war übrigens das Jahr, in dem Hans Prinzhorn die Sammlung mit der Kunst Geisteskranker betreute, die Emil Kraepelin angelegt hatte; Prinzhorn schrieb 1922 sein Buch Bildnerei der Geisteskranken, und nach ihm ist die Sammlung auch benannt, über die manipogo mehrmals berichtet hat, zuletzt im September 2021. Die Nationalsozialisten zwangen Jaspers 1937, in Pension zu gehen, und nach dem Krieg wirkte er mit, die Universität Heidelberg neu zu gründen. Er wurde später Schweizer Staatsbürger und starb 1969 in Basel, wo es eine Stiftung mit seinem Namen gibt.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.