Viele Leben
So wie MPD-Patientinnen viele Personas in sich vereinen, so ist tief in unserem Unbewussten das Wissen um viele viele Leben verborgen, denn wir wären nicht frei, neu anzufangen, wüssten wir um all die Dramen unserer vergangener Existenzen. Die Synthese erfolgt später, wird aber immer nur vorübergehend sein, denn weit ist der Weg zur Perfektion.
Man kann ahnen, dass Reinkarnation vielschichtig ist. Zitieren wir ein wenig aus dem Buch Unser unsichtbarer Gast von Darby & John (1920), und der Gast teilte mit:
Ich bin nur ein Teil des Ganzen, und dennoch ist das Ganze ich. … Einerseits werde ich mich viele viele Male für immer höhere Sphären qualifizieren, um endlich den höchsten Grad zu erreichen. Andererseits wird ein Teil des Ganzen andauernd wiedergeboren … Ich bin sicher, wiedergeboren zu werden — es kann gar nicht anders sein —, jedoch nicht alles von mir, wie ich mich vorher kannte. … Die Qualität des Bewusstseins wird wiedergeboren. … Die Qualität von vielen war in mir wiedergeboren worden. … Ein Niveau der Qualität wird wiedergeboren.
Damit können wir wenig anfangen. Mir fiel gleich Robert M. Pirsig ein, der Zen in der Kunst, ein Motorrad zu warten geschrieben hat, und da verbreitet er sich auf 100 Seiten über die Qualität, quality. Aus dem manipogo-Beitrag über das Buch:
… und Pirsig geht auf Aristoteles und Plato zurück und sehr in die Tiefe. »Quality« heißt eigentlich Eigenschaft, könnte aber auch etwas wie Güte und Gutes bedeuten, also Qualität und moralischer Anspruch. Man hat immer zwischen dem Guten und dem Wahren unterscheiden wollen und entschied sich letztlich für das Wahre. Das Gute, daher kommt der Begriff Gott (God, good). Nach allem Herumwandern hat der Erzähler die Erleuchtung: seine Quality ist etwas, das vor allem war und aus dem alles hervorging, und es ähnelt am ehesten dem Tao, das undefinierbar ist und überall.
Vielleicht wird also das, was gut war an uns, wiedergeboren, damit es hier auf Erden aufwärts geht, während unser Mentalkörper in der anderen Welt versucht, höhere Ebenen zu erreichen. Das Göttliche in uns pflanzt sich fort und hilft mit, dass (bei mir) ein späterer Lebenslauf früher das Niveau erreicht, das ich in diesem Leben spät erreichte. Und noch einmal eine Rückübersetzung der Reinkarnationsvorstellung in unser Leben:
Auch in dieser einmaligen Existenz leben wir viele Leben. Was ich vor 20 Jahren gedacht und getan habe, ist mir heute nicht mehr nachvollziehbar. Das war wohl ein anderer Mensch, den ich hinter mir gelassen habe. Manchmal gibt es eine regelrechte Zäsur, die eine neue Existenz einläutet: Kündigung, Ende einer Partnerschaft, Krankheit, Umzug ins Ausland. Bei den ursprünglichen Völkern war der Weg eines jungen Menschen ins Erwachsenenalter durch eine Initiation gekennzeichnet, eine Einweihung. Er oder sie musste tagelang im Busch bleiben, verschmachtete fast, hatte Visionen, und wurde dann, nach diesem imaginären Tod, aufgenommen in die Sippe als ein neuer Mensch.
In den Klöstern nehmen die Nonnen und Mönche einen neuen Namen an; ihre alte Existenz ist dahin, sie beginnen ein neues Leben auf der Asche des alten. Und erst vor kurzem wurde mir bewusst, dass es in den manipogo-Serien Davongekommen und Testpiloten immer um Menschen geht, die eine tödliche Krise überlebten und die Chance bekamen, ein neues Leben anzufangen. Wachen wir nicht jeden Morgen auf und sehen einem neuzen Tag entgegen? Konfuzius meinte: Wenn du jeden Tag ein neues Leben anfangen willst, tu es! Verändern wir unsere Routine, gehen wir nach links anstatt nach rechts, lächeln wir, anstatt grimmig zu schauen! Tun wir es für uns, um uns neu zu erleben, denn auch hier und heute kannst du wiedergeboren werden und alles so erleben, als wär’s das erste Mal!