Sterben lernen

Sterben lernen heißt ein Artikel in der Ausgabe 3/2020 der Hamburger Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft. Es ist also zwei Jahre her, dass die Philosophin Ina Schmidt, Autorin des Buches Über die Vergänglichkeit, sich Gedanken übers Sterben gemacht hat. Das zeigt uns, wie sich zeitgenössische Philosophen zum Tod stellen.

DSCN4667Überraschend ist es nicht, dass sie etwas unklar herumreden und sich in Bonmots gefallen, denn sie wissen ja nichts. Sie nehmen an, dass es dann zu Ende ist: Klappe zu, Schluss der Vorstellung. Ina Schmidt fängt an bei Epikur, der gesagt haben soll, wenn der Tod sei, seien wir nicht; wenn wir seien, sei der Tod nicht, weshalb es müßig sei, über ihn zu reden. Na ja, für den Tod stimmt es. Das Sterben gehört noch dazu, ist der ermüdende Abspann, wenn die Liste der 200 Beteiligten läuft und die Kinobesucher ihre Plätze räumen.

Sie zitiert Michel de Montaigne, der riet, sich mit dem eigenen Ende auseinanderzusetzen, und sie zieht Jankélevitch heran, der eher unbekannt ist. Schopenhauer, Nietzsche und vor allem Martin Heidegger müssten zu Wort kommen, letzterer hat dem Hinneigen zum Tod viel Raum eingeräumt; aber vielleicht ist es in der Szene unschick, Heidegger zu erwähnen, das weiß ich nicht. Dann heißt es:

Die Gewöhnung, zu der wir uns entschließen, betrifft vielmehr den grundsätzlichen Gedanken der Vergänglichkeit … bis hin zu der Finalität eines Todes, der unumkehrbar dem Leben, wie wir es kennen, ein Ende setzt. 

DSCN4775Dem Leben, wie wir es kennen … warum dieser Einschub? Will die Autorin doch die vage Möglichkeit eines anderen Lebens einräumen? Wenn ja, hat sie das gut versteckt. Es gelingt ihr, sich auf 5 Seiten übers Sterben und den Tod zu verbreiten, ohne die Möglichkeit eines Weiterlebens auch nur anzudeuten, die ja alle Weltreligionen vertreten. Aber Philosophen sind eingefleischte Atheisten, denkt man sich. Es geht also um unser eigenes endgültiges Ende, und wir lesen:

Sterben ist einzigartig, ebenso wie Geborenwerden …

Stimmt ja, auch in jeder Inkarnation ist das Sterben einzigartig. Wir lesen:

Sobald es um die Fragen eines guten Lebens wie auch eines guten Sterbens geht, stellen sich Fragen über Fragen …

Fragen. Die Frage, ob es weitergeht oder zu Ende ist, die Frage aller Fragen, die stellt sich der Philosophin nicht, die sich zwar dem Tod stellt, aber nicht dem, was kommt, weil sie das wohl für Spekulation hält. Weil Philosophen wie viele andere Menschen denken, dass man nichts darüber wissen kann. Gut, dass manipogo-Leserinnen und -Leser mehr wissen. Das Richtige lesen muss man!

DSCN4787

Ina Schmidt kommt uns dann mit Hanna Arendt, die einen Zwischenraum postuliert hat: den Moment des Abschieds, in dem der oder die Sterbende loslässt, der oder die Angehörige ihn gehen lässt und der Fortgegangene »allein durch seine Abwesenheit anwesend bleiben kann«. Das klingt alles gut, gewählt, erhaben und verständlich, gleichzeitig hilflos. Angesichts des Todes ist jeder hilflos.

Doch dass die Frage nach dem Wohin nicht einmal gestellt wird, ist bedauerlich. Wir wollen ja nicht therapeutisch eingreifen; wir haben die Fakten, und die Philosophen, die das Falsche lesen, können einem nur leid tun.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.