5 kurze Gedichte

Ich habe etwas für kurze Gedichte übrig; auch, weil sie sich schnell abschreiben und schnell lesen lassen. Wir denken ja unausgesetzt; aber ist ein Satz, den ich niederschreibe, schon ein Gedicht? Ich finde, ein Gedicht liegt vor, wenn es »artig« (Goethe; da steckt auch art drin, die Kunst) klingt und sich zwischen den Zeilen eine zweite Ebene zu erkennen gibt. Kurze Gedichte wirken immer wie hingeworfen.

Fitzgerald Kusz, der fränikische Dichter (geboren 1944):

lezdä omnibuss

du
koosdmä nu ä
zigareddn gehm
dassi nedd äsu
allaans bin
affem haamwech?

Ernst Jandl, der Wiener (1925-2000):

rilke, reimlos

rilke
sagte er

dann sagte er
gurke

leise dann
wolke

Octavio Paz (1914-1998), Nobelpreisträger aus Mexiko:

Aqui

Mis pasos en esta calle
Resuenan
—          En otra calle
Donde
—           Oigo mis pasos
Pasar en esta calle
Donde

Solo es real la niebia.

Hier

Meine Schritte in dieser Straße
widerhallen
—          in der anderen Straße
Wo
—          ich meine Schritte
in dieser Straße vorbeikommen höre
Wo

Wirklich nur der Nebel ist.

Günter Eich, Deutschland (1907-1972):

Fortschritt

Entleert von Gedächtnis,
ich war fünf Glaskugeln,
ohne Laub, ohne Ausblicke:
Gestern wär ein guter
Tag zum Sterben gewesen.
Heute beißen
den letzten die Hunde.

Eugenio Montale (1896-1981), auch er Nobelpreisträger:

Non ha nulla a che fare col tempo, è qualcosa che dice
che ci fa dire siamo qui, è un miracolo
che non si può ripetere. Al confronto
la gioventù è il più vile degl’inganni.

Nichts hat es zu tun mit der Zeit, es ist etwas das sagt
und das uns sagen lässt wir sind hier, es ist ein Wunder
das sich nicht wiederholen lässt. Im Vergleich dazu
ist die Jugend die größte aller Täuschungen.

 

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