Doppelspiel
Vor drei Monaten lasen wir auf manipogo von Frederick Sculthorp, der in einem Hörsaal seinen Doppelgänger traf, einen jungen Mann. Der deutsche Autor Peter Stamm, 1963 geboren, hat dieses Thema 2018 in dem Buch Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt bearbeitet, und wir schauen uns an, wie.
Es ist ein recht neues und gelungenes Buch, darum wollen wir nicht zuviel verraten. Das Treffen mit dem Doppelgänger geschieht wie bei Sculthorp in einem Hörsaal.
Whrend der Professor eine kleine Einführung hielt, liess ich meinen Blick durch die Reihen schweifen, und plötzlich sah ich ihn, den Nachtportier, mein jüngeres Ich. Er saß ziemlich weit hinten am Rand und hielt einen Plastikbecher in der Hand …
Der Ich-Erzähler ist Autor und hat vor 15 Jahren ein erfolgreiches Buch geschrieben, mit dem er auf Lesereise gehen konnte. In seinem Heimatdorf schläft er in demselben Hotel, in dem er früher Nachtportier gewesen war — und dort sieht er plötzlich sich selbst, wie er früher war. In dem Buch ging es um seine Beziehung mit Magdalena, die er nie vergesen konnte (nach 3 Jahren kam es zur Trennung).
Nun läuft ihm in Stockholm die junge Lena über den Weg, die ihn fatal an Magdalena erinnert, und wie diese ist Lena Schauspielerin, und zufällig heißt ihr Freund Chris und schreibt ein Buch. Sielen diese beiden das nach, was der Erzähler (natürlich heißt er Christoph) in der Vergangenheit erlebt hat? Er lernt Chris kennen und erzählt ihm alles; jedoch gibt es Abwandlungen und Veränderungen, vielleicht ist es doch nur Einbildung?
Wie das ist mit Inkarnationen und anderen Versionen unser selbst, haben wir am 18. September zu erklären versucht. In der Literatur ist der Doppelgänger oft ein Unglücks- oder Todesbote (Maupassant soll sein Double gesehen haben), doch sonst kann sein Auftauchen auch eine Rückerinnerung an vergangene Zeiten bedeuten (wie bei Goethes Erlebnis).
Der Autor überrascht uns dann mit einer erstaunlichen Wendung. Wir können nur noch die Erklärung bieten, dass der Erzähler sich selbst vielleicht nur eingebildet hat (denn die Hauptfigur im Buch ist wie alle Figuren im Roman ein Konstrukt, ein erfunden‘ Ding), dass seine Existenz bloß geträumt wurde; vom Autor natürlich, der versucht hat, philosophische Probleme in eine gefällige Form zu kleiden, sie erzählerisch zu fassen.
Könnte es sein, dass wir die ewige Wiederkehr unseres Lebens erleben müssen … oder sind kleine Veränderungen möglich? Wo ist der, der ich vor 20 Jahren war, wo ist meine Vergangenheit und all der Krempel, der mich damals interessiert hat? Welchen Sinn hat dies alles?
Ich denke mir: Wir sind immer auf dem Weg. Was war, ist wichtig nur in dem Sinn, dass es uns etwas beigebracht hat, und ständig lernend schreiten wir nach vorne, und treffend waren zwei Zeilen, die ich im Vorbeigehen in dem Laden Batik in Tropea sah:
Yesterday is history,
Tomorrow is a mystery,
Today is a gift.
Also:
Gestern ist Geschichte,
Morgen ist ein Geheimnis,
Heute ist ein Geschenk.
Nicht besonders originell, aber wir haben nur die Gegenwart, die alles mit sich trägt, was bisher mit uns geschehen ist oder was wir getan haben.
≅ Œ § ¿
Randbemerkung: Das Buch ist 2018 im S. Fischer-Verlag in Frankfurt am Main erschienen. Das sind ja Profis. Und dann muss man solch einen Satz lesen:
Wann war das?, fragte Lena.
Was soll das? fragt sich der Leser. Was soll das Komma nach dem Fragezeichen? Ist das wieder eine neue Marotte der seit 20 Jahren chaotischen deutschen Rechtschreibung? Sowas hatte ich nie gesehen, und es missfällt mir. Weil das Komma überflüssig und durch nichts zu rechtfertigen ist.