Dunkle Zonen
Ich hatte irgendwo einmal erwähnt, dass die Leute heute alles wörtlich und alles persönlich nehmen, so dass es schwierig ist, sachliche oder zumindest entspannte Gespräche zu führen. Die Hamburger Philosophiezeitschrift Hohe Luft hat diese Beobachtungen mit dem Correctness-Unsinn verknüpft und in einen größeren Rahmen gestellt. Muss ich meinen Einleitungssatz etwa relativieren, indem ich sage, das sei natürlich nicht immer so; zuweilen könne man doch noch … Damit wäre ich schon mitten drin im Problem, weil Leute heute keine Ungerechtigkeit und keine Übertreibungen mehr dulden; niemandem soll Unrecht widerfahren. Doch, wie schon des öfteren bemerkt, wird Sprache von Sprechern und Sprecherinnen eingesetzt, die von sich ausgehen und die von anderen erwarten dürfen, dass sie hinnehmen, es mit einer überspitzten These zu tun zu haben und sie stillschweigend korrigieren. »Das kannst du so nicht sagen«, kann man da hören.
Die Hohe Luft fängt mit Michel Foucault (1927-1986) an, der in seiner Zeit ähnlich wie Baudrillard und Derrida kundgab, die Zeichen seien willkürlich und kreisten um eine Leere — wie wir es in einem Artikel über Cassirer geschrieben haben: Die Sprache ist symbolisch. Haus könnte auch Wurst heißen und die Wurst Haus (ich erinnere mich: In der Sendung mit der Maus war das einmal lustig dargestellt).
Doch nun sei ein Bruch eingetreten, schrieb Bernd Graff in dem Hohe-Luft-Artikel Linguistic Abtörn. Eine jüngere Generation von Denkern fühle sich moralisch überlegen und verweise wieder auf die Tugend (wie vor 200 Jahren), die sie ins Zentrum der verlorenen Mitte stellten.
Das Individuum ist sich Evidenz genug, die Zeichen sind wieder eins geworden mit ihrer Bedeutung. Wie hat es dazu kommen können?
Alles fing mit einem Buch von Judith Butler an, das einen Nerv traf. Es kam zum Gendern (ausgesprochen Tschendern). Frauen müssen mitgenannt, unschöne Wörter vermieden werden, damit alles schön daherkommt. Die Zeichen werden eins mit ihrer Bedeutung, und den Unsinn erkennt man, wenn gegen eine Mohrenstraße gekämpft wird oder Winnetou verboten werden soll. Die Straße hat nichts mit konkreten Afrikanern zu tun, und Literatur ist etwas Anderes als Leben.
Doch Literat will man heute nicht mehr sein, da der Verleger (die Verlegerin) sagen wird: Wollen wir das nicht streichen? Das führt zu Protesten und Missverständnissen. Wenn ich nicht mehr sagen kann, was ich sagen will, wenn ich mich selbst zensiere, sinkt das Material (meins und das der ganzen Gesellschaft) in den Schatten und bildet eine gefährliche dunkle Zone, die diese Zivilisation zerstören könnte, wenn es nicht schon die Klimakrise tut. Die Lüge hat schon ganze Staaten zerstört.
Nun noch ein paar deutliche Worte von Hohe Luft:
Nur darum sucht eine stalinistische Begriffsklauberei jeden Gebrauch von Vokabeln zu reglementieren, damit böse Gedanken gar nicht erst in die Köpfe dringen … Ein jeder führt die Kriege, die er führen kann, auf höhen Rössern reitet es sich leicht, und Gerechtigkeit per Zeichen ist einfach. Doch ist dieser verkitschte Heroismus, mit dem man sich zum alleinigen Mandatsträger der guten Sache und Fürsprecher der Nicht- und Unterprivilegierten erklärt, nicht auch blasiert und snobistisch? Die selbstgerechte Richter-Attitüde ist dabei so kritikwürdig wie der naive Glaube an porentiefe Sprachreinheit und Identität.