Niels Bohr

Ein Fußballspiel zwischen einer deutschen und einer dänischen Mannschaft.Der Ball rollt auf das Tor zu, und alle erwarten, dass der junge dänische Torwart herausläuft, aber was macht er? Er starrt auf den Torpfosten, bis ihn der entsetzte Schrei eines Zuschauers aufweckt. Dann angelt er sich den Ball. Später sollte der Torhüter, Niels Hendrik David Bohr, angeben, ein mathematisches Problem habe ihn so gefesselt, dass er am Torpfosten Berechnungen angestellt habe.  

Abraham País hat diese Anekdote in seiner Biografie über den Mann erzählt, der einer der größten Physiker des 20. Jahrhunderts werden sollte. Schon 1913 erdachte Bohr sein Atommodell, das die Quantisierung mit einbezog: Die Elektronen sollten auf festen Bahnen um den Atomkern kreisen (im Wasserstoffatom) und, angeregt, auf eine neue Bahn springen (Quantensprung), wobei Licht abgegeben oder aufgenommen wird. Das war ziemlich anschaulich und neu – so neu, dass Max von der Laue, Otto Stern und Albert Einstein auf dem Zürcher Uetliberg den »Uetlischwur« taten (analog zum Tellschen Rütlischwur), sie würden die Physik sein lassen, wenn sich »dieser Bohrsche Unsinn« bestätigen lasse. (Illustration: Niels Bohr in einer Zeichnung von mir.) 

Er wurde aber bestätigt, und die drei legten ihren Schwur ad acta. Bis 1915 hatte Einstein noch die geistige Führung in der Quantenmechanik, bis Bohr kam. Zusammen mit Heisenberg legte er die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik vor, die besagt, dass Elektronen keine echten Objekte seien, dass die Mikrowelt unbestimmt sei und man nichts über sie sagen könne. Die Welt der Elektronen sei eine andere als die Welt der klassischen Physik.   

Die Quantenwelt – unbestimmbar und rätselhaft

Zwei Mal besiegte Bohr Albert Einstein in einem direkten Duell. Einstein wollte immer nachweisen, dass die Quantenphysik unvollständig sei und präsentierte seine berühmten Gedankenexperimente, auf die Bohr immer eine Antwort fand, einmal auch nach einer Nacht des Nachdenkens, die Einstein entwaffnete. Der Deutsche hielt Bohrs Ansicht, wir dürften die klassische Welt nicht mit der Welt der Elementarteilchen vermischen und eigentlich könne man nichts darüber sagen, für eine »Beruhigungspille«.   

Aber letztlich behielt Bohr recht. Die Quantenwelt war so verrückt, wie sie sich gab. Sein Familienwappen trug den Kreis mit Yin und Yang, und auch sonst hatte Niels Bohr unkonventionelle Gedanken. Einmal ging er mit Heisenberg spazieren, und sie warfen Schneebälle auf Telegrafenmasten. Bohrs Geschoß traf. Er überlegte dann, dass es schwierig, ja fast unmöglich sei, zu treffen, wenn man es wolle und ziele. Vielleicht dachte er an eine unterirdische Verbindung zwischen Werfer und Ziel, da es ihm nie gefiel, Beobachter und beobachtetes System zu spalten.  

Und einmal gab er zu bedenken, beim Pokerspiel hänge es vielleicht davon ab, so sehr daran zu glauben, dass man ein starkes Blatt habe, dass auch der andere davon überzeugt werden müsse (auch wenn das eigene Blatt vielleicht schwach sei). Die Kopenhagener Deutung betonte den Einfluss des Bewusstseins auf die Welt.  

Der Physiker James Franck sagte über Bohr: »Manchmal saß er fast wie ein Idiot da. Sein Gesicht wurde leer, seine Glieder hingen herab … Er zeigte keinerlei Anzeichen von Leben. Dann sah man plötzlich, dass etwas in ihm aufleuchtete, ein Glitzern kam, und er sagte: ›Jetzt weiß ich es.‹« 

Niels Bohr war kein guter Dozent. Er hatte ein schwer zu verstehendes Englisch mit gutturaler Aussprache, und manchmal blieb er hängen, sagte »aber« und nach einer langen Pause »und«, und dann fuhr er fort, aber auf einem anderen Gleis, und niemand erfuhr, was er zwischen aber und und gedacht hatte. Walter Gratzer schreibt in seinem Buch Eurekas and Euphorias (2002) mit Anekdoten über Wissenschaftler (denen die Beispiele entstammen), Niels Bohr sei beliebt und verehrt gewesen, ein Mann von hohem Mut, großer Ehrlichkeit und ohne jede Eitelkeit.        

In der Sowjetunion sprach er darüber, wie es ihm gelungen sei, eine hochkarätige Schule für Physiker zu schaffen, und Bohr sagte: »Vermutlich, weil ich nie davor zurückgescheut bin, vor meinen Studenten zuzugeben, dass ich ein Narr [a fool] bin.« Später las ein russischer Physiker die Rede noch einmal vor und verlas sich: »… meinen Studenten zu erklären, dass sie Narren sind.« Ein Mitglied der Zuhörer bemerkte später, das genau sei der Unterschied zwischen Bohrs Schule und der des als arrogant geltenden Lew Landau gewesen; der Verleser war nicht zufällig. 

Niels Bohr hatte 1922 den Nobelpreis für Physik bekommen, flüchtete während der Nazizeit aus Kopenhagen nach Schweden und dann nach England, kehrte zurück und nahm seinen alten Posten als Professor wieder ein. 1950 warnte er in einem Brief an die Vereinten Nationen vor der missbräuchlichen Nutzung der Atomenergie. Am 18. November 1962 ist Niels Bohr in seiner Heimatstadt gestorben, 77 Jahre alt.

 

 

 

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