Schnellangsam – volleer
Ein Mann hatte im Alter von 7 Jahren bei einer Nahtod-Erfahrung das übliche Erlebnis: Er glitt den Tunnel entlang und stand dann in einem weißen Raum. Neu war, dass er — bei Franz Dschulnigg, für dessen Kanal Empirische Jenseitsforschung — andauernd betonte, im Tunnel sei es rasend schnell und zugleich sehr langsam vorangegangen, und der Raum sei leer und gleichzeitig voll gewesen.
Das betonte er so oft, dass es mir auffiel. Da denkt man unwillkürlich an die Zeit: Jahrzehnte liegen vor uns, und sie vergehen, wie sie halt vergehen; und dann, plötzlich, ist alles sehr schnell vergangen, man ist alt, die Vergangenheit schien wie ein Blitz vorübergeflogen zu sein. Die Extreme berühren sich, das habe ich oft betont, und das wissen wir seit Empedokles (oder war’s ein anderer?) und Giordano Bruno. Außerdem ist die Zeit eine menschliche Schöpfung ebenso wie der Raum. Dass es mit und in ihnen zu seltsamen Wahrnehmungen kommt, zeigt uns, dass beide, Zeit und Raum, nicht die letzte Wahrheit darstellen. Die Zeit ist subjektiv. Manchmal kommt uns ein Zeitraum (Zeit-Raum?) lange vor, manchmal war er schnell vorbei.
Mit dem Raum ist es nicht so einfach. Wir können aber mit Saint-Exupéry sagen: Jeder hat über sich 10.000 Meter Luft und Freiheit und noch mehr, und der leere Raum ist kein Vakuum, da angefüllt mit dunkler Materie. Und: Ich reise Tausende von Kilometern, steige aus — und da ist vertrauter Boden und Luft, die mich atmen lässt. Alles ist dem Leben zugeneigt. Auf fremder Erde fühlt man sich leer von Erinnerungen, aber voll der Versprechungen und Verheißungen; zu Hause ist es umgekehrt. Wer traurig ist, läuft durch die Fifth Avenue von New York wie durch eine Wüste. Unser Geist, unser Bewusstsein füllt die Umgebung mit Leben und Bildern, wo auch immer.
Freude kann so groß werden, dass sie der Verzweiflung nahekommt; Sehnsucht kann nach Erfüllung schmecken. Immanuel Kant hat, glaube ich, Zeit und Raum als A-priori-Erfahrungen betrachtet. Sie sind in uns. Aber womöglich liegt davor noch das paradoxe Alles-in einem- und Eines-in-allem-Gefühl. Der Buddhist will Reglosigkeit in der Bewegung und will, meditierend etwa in einer Höhle, sich mit allem verbunden fühlen. Unser Bewusstsein ist das Maß aller Dinge; Zeit und Raum sind nur Hilfskonstruktionen, wir könnten ohne sie sein.
Wir müssen uns nicht fragen, ob ein Zeitraum schnell oder langsam vergangen ist und ob ein Raum eng ist oder weit. Wir mit unserem Bewusstsein sind das, in dem alles ist und das alles umfasst wie der unendliche Geist. Wir brauchen Zeit oder Raum nicht. Wir können sagen: Ich bin hier, ich bin ich, ich bin wir. Alle übrigen Spekulationen führen uns nur weg von uns und der Quelle.