Tony Gatlif

Es fing damit an, dass ich den Zettel eines kommunalen Kinos in Rom fand, auf dem die Handlung von Vengo skizziert war, einem Film von Tony Gatlif. Ich hatte ihn damals in der Via Perugia gesehen: Er spielt in Andalusien unter den gitanos und endet tragisch. Ich ging auf Youtube, fand mehr Gatlif-Filme und sah mir drei an. Der 1948 geborene algerische Regisseur hat 22 Filme gedreht.

Tony Gatlifs Vater war Berber, seine Mutter Roma. Die Roma sind die größte ethnische Minderheit Europas und wurden oft ausgegrenzt und verfolgt. Auch in Bayern zogen ihre Sippen umher und boten ihre Dienste als Scherenschleifer an. Wenn sie kamen, schloss man sich in den Häusern ein, denn man hielt sie für Diebe. Unter den Nationalsozialisten wurden die Sinti und Roma in Konzentrationslager gesperrt und systematisch getötet wie die Juden. An die 400.000 Sinti und Roma wurden vergast oder erschossen. Ihr Schicksal wird in dem manipogo-Beitrag Vernichtung durch Arbeit gestreift.

Rlatcho dromGatlifs Film Latcho drom stammt von 1993 und zeigt Gruppen von Zigeunern auf ihrem Weg von Indien nach Südosteuropa. Es herrscht die Ansicht, dass die Roma in einem Zug Nordindien verließen und sich auf dem Balkan verteilten. Latcho drom hat weder Handlung noch Protagonisten. Von der ersten bis zur letzten Minute erklingt jedoch Musik — elektrisierend, hypnotisch, traurig, sehnsüchtig. Viel Musik gibt es auch in Gadjo dilo von 1997. Stéphane, ein junger Franzose aus Paris, sucht eine Gypsy-Sängerin und lernt in Rumänien Isidor kennen, der betrunken ist und sich irgendwie schreiend-temperamentvoll äußert, sich aber bald als kenntnisreicher Führer erweist und ihm zum Freund wird. Es zieht ihn zu Sabine hin, mit der er auch gegen Ende des Films davonfährt.

OIPgadjo diloDer Film lief in Originalsprache (und wenig Französisch) mit ungarischen Untertiteln, die nicht besonders weiterhalfen. Erst bei Wikipedia erfuhr ich, warum die Dorfbewohner die Roma-Siedlung niederbrennen: Adriani, ein Sohn Isidors, hatte einen Bewohner getötet.

Eine uns unbekannte Welt zeigt uns Gatlif. Erst fühlen wir uns befremdet, doch allmählich wachsen uns die seltsamen Gestalten ans Herz, die ganz aus dem Gefühl heraus leben, die aufbrausend sind und impulsiv, aber treue Freunde. Gadjo dilo kam mir bekannt vor, sicher hatte ich den Film schon einmal gesehen. Bei den Césars 1999 wurden Romain Duris (Stéphane) und Rona Hartner (Sabibe) als beste Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet.

OIPlibertéLiberté wenigstens kann man auf Französisch sehen. Der Film von 2009 spielt 1943 in Frankreich. Die Vichy-Regierung lässt auf Druck der Nazi-Besetzer Sinti und Roma internieren, denen ein Tierarzt und seine Frau (Marc Lavoine und Marie-Josée Croze) beizustehen suchen. Die Frauenrolle wurde vom Leben von Yvette Lundy (1916-2019) inspiriert, die als Lehrerin falsche Papiere ausstellte und auf jede erdenkliche Art versuchte, jüdischen und anderen verfolgten Familien zu helfen. Sie wurde nach Ravensbrück und Buchenwald gebracht, überlebte aber.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.