Das große Abräumen

Apoig ist ein Dorf 15 Kilometer nordwestllich von Deggendorf gelegen und nah an der Donau. Weiter nördlich liegt Cham, es ist der Bayerische Wald, und in Apoig wurde 1753 Matthäus Lang geboren, später bekannt geworden als der Mühlhiasl, dessen Prophezeiungen viele kennen. Etwa 1825 soll er gestorben sein.

Über ihn schreibe ich, weil ich das Buch Mühlhiasl von Wolfgang Johannes Bekh (1925-2010) besitze und weggeben wollte. Nichts Besseres, als es vorher noch zu lesen. Und noch besser, dann darüber zu schreiben. Der Autor lässt uns an seinen Reisen im Jahr 1990 zu Leuten im »Woid« teilhaben, die mehr wissen von dem bayerischen Seher, der übrigens verheiratet war und zwei Kinder hatte, Müller war — doch der Abt nahm ihm die Mühle weg, weil er nicht genug Abgaben gezahlt hatte. Hinfort wanderte der Mühlhiasl und reparierte Mühlen.

Seine Voraussagen trafen zuweilen aufs Genaueste ein. Berühmt geworden ist der Satz

An dem Tag, an dem zum ersten Mal der eiserne Wolf auf dem eisernen Weg durch den Vorwald bellen wird, an dem Tag wird der große Krieg anheben.

Die Bahnlinie von Eging über Hengersberg nach Deggendorf wurde am 1. August 1914 eröffnet: an dem Tag, an dem der Erste Weltkrieg begann. — Im Frühjahr 1914 hatte ein Zeppelin den Bayerischen Wald überflogen. Der Mühlhiasl meinte, es gehe los,

Wenn man einen weißen Fisch am Himmel sieht.
Wenn der weiße Fisch über den Wald fliegt.

Das klang Anfang des 19. Jahrhunderts natürlich surreal und verrückt. Der Mühlhiasl schrieb an anderer Stelle:

Dann wird ein strenger Herr kommen und den Leuten die eigene Haut abziehen. Die Kleinen werden groß und die Großen klein. … Wenn sie in Straubing an der großen Brücke über die Donau bauen, so wird sie fertig, aber nimmer ganz; dann geht’s los.

Der Betonbelag fehlte der Brücke nur noch, dann brach am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg aus, von Hitler gewollt und provoziert, dem »strengen Herrn«. — Manchmal scheint der Waldprophet dann von unserer Zeit zu sprechen:

Zuerst kommen die vielen Jubiläen, überall wird über den Glauben ‚predigt, überall sind Missionen, aber kein Mensch schert sich mehr darum, die Leut werden recht schlecht. Die Religion wird noch so klein, dass man sie in einen Hut hineinbringt … Kein Mensch beugt mehr die Knie. Aber die Geistlichen sind selber schuld, weil sie nicht mehr nach ihrem Stand leben. Daran wird sich nichts ändern, bis die Welt abgeräumt ist.

Dieses »Bänkabräumen« kann noch weit in der Zukunft liegen. Die Vorzeichen des Mühlhiasl:

Wenn die kurzen Sommer kommen;
Wenn man Winter und Sommer nimmer auseinanderkennt,
dann ist es nicht mehr weit hin.

Wie sich das vollziehen wird, können wir uns nicht vorstellen. Eine Finanzkrise gehört immer dazu:

Gesetze und Steuern machen’s, die Herren, aber endlich kann es keiner mehr zahlen.

Und jeder gegen jeden:

Wenn man die Leut, die einem begegnen, nicht mehr versteht, ist es nimmer weit bis zum End. Bei den Leuten wird einer den anderen nimmer mögen, keiner wird dem andern mehr trauen.

 

 

 

 

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