Kältetod des Fußballs?
Heute Abend ist das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Blicken wir auf 2006 zurück, als Deutschland das Turnier ausrichtete und von deren Medien das »Sommermärchen« erfunden wurde. Von den Vorwürfen, unser Land habe sich die Veranstaltung gekauft, hörte man später nicht mehr viel; alle diesbezüglichen Verfahren gegen DFB-Bedienstete wurden eingestellt. Da kommt nun der Zwiebelfisch ins Spiel.
Die Spielvereinigung Zwiebelfisch legte 2007 ihr Heft Nachspiel vor. Es ging um den Fußball; eine langweilige Weltmeisterschaft habe man miterlebt (die von 2006, darum vermutlich die große 6 auf dem Titel), auch wenn Deutschland Dritter geworden sei. Diesmal, 2022, sind wir schon nach der Vorrunde ausgeschieden wie schon 2018. Das kommt einem irgendwie logisch vor: Dieses übersättigte Land hat keinen Biss mehr und genug damit zu tun, sich selbst aufwendig zu verwalten, und Zukunftsängste kommen hoch: Wie schlimm wird es werden? (2014, als sie Weltmeister wurden, hörten die Kicker Helene Fischer, und das gab ihnen den Kick!)
Zwiebelfisch ist ein Ausdruck aus der Typografie (das ist ein Buchstabe aus einer anderen Schrift, ein Störer. Die acht Autorinnen und Autoren befanden sich an der Freiburger Design-Hochschule und legten los.Was ich damit zu tun hatte, weiß ich nicht mehr; ich kannte wohl jemanden von dort. Ich bekam eine Seite, die letzte (Seite 80), die auch mit Nachspiel überschrieben war: das Nachspiel im Nachspiel sozusagen, und schrieb darüber, warum es im Sex eher ein Vorspiel gibt, was ich, der Asket, eigentlich nur aus Büchern kenne.
So in der Mitte des Hefts handelte Jörg Später den globalisierten Fußball ab (»Die Hoffnung stirbt zuletzt«). Daa war nicht unbedingt neu, hat aber die Zeit überlebt. Es ist immer noch so. Aber trotzdem ist Fußball faszinierend. Ich habe von der ganzen Veranstaltung nurt eine Halbzeit gesehen (die zweite bei England gegen Frankreich), und die war rasant und spannend. Was für eine Technik, was für ein Tempo! Das war Spitzenfußball.
Führen wir uns ein paar Auszüge zu Gemüte:
Der Kältetod des Fußballs
Vor gut zehn Jahren beklagte Eduardo Galeano in seinem Buch »Der Ball ist und und Tore lauern überall« die fortwährende Modernisierung des Fußballs. Der Lieblingsschriftsteller der lateinamerikanischen Linken war auf der Suche nach dem emanzipatorischen Potenzial des Fußballs und sah dieses duch die Herrschaft des Profits und die Disziplinierung der Spieler eingedämmt. Die dem Spiel innewohnende Freiheit, Freude und schöpferische Energie verkämen, wenn der Sport zur Industrie werde, der Profifußball alles verdamme, was nutzlos sei, und Technokraten den Mut zu Eigensinn und Risiko verböten. Galeano erinnerte wehmütig an eigensinnige Außenstürmer und legendäre Spielmacher mit langen Haaren, runterhängenden Stutzen und aus der Hose hängendem Trikot mit der Nummer 10. (…)
Heute kommt kein Zehner mehr aus der Tiefe des Raumes. Technik, Taktik, Schnelligkeit haben den Fußball zu einem wissenschaftlichen Spiel gemacht, nicht nur auf dem Feld, sondern auch die gesamte Ausbildung und Trainigsarbeit betreffend. Diese Modernisierung des Fußballs spiegelt durchaus eine gesellschaftliche Entwicklung. Der Fußballer ist sozusagen der moderne Hochleistungsangestellte … Er ist ein rundum diszipliniertrd <individuum, das sich im Verdrängungswettbewerb behauptet. Jeder ist ersetzbar und spürt den Hauch des Konkurrenten im Nacken. (…)
Der Fußball hat sich ebenso radikal modernisiert und beschleunigt wie die gesamte kapitalistische Gesellschaft. Fußball ist ein Geschäft. Jeder Spieler und jeder Trainer hat seinen Preis. … Fußball ist mittlerweile infolge der Liaison von Fernsehen, Werbung und Merchandisingprodukten ein itchaftsfaktor der besonderen und noch immer boomenden Art. Mit ihm lässt sich nicht nur Geld, sondern Sympathie, und damit wieder Geld erwerben. Dirk Schümer hat es auf den Punkt gebracht: »Fußball und Kapitalismus harmonieren prächtig miteinander, weil sie wesensgleich sind. Spiel und Markt sind eins.« (…)