Ernst Meister
Hagen liegt in der Nähe von Dortmund und Wuppertal, hörte ich heute von einer Pflegeheim-Bewohnerin, die in Hagen-Haspe zur Welt kam (im Bombenhagel 1944), also exakt da, wo der große Lyriker Ernst Meister 1911 das Licht der Welt erblickte. Ein Hagener aus Haspe nannte er seine Autobiografie, und ich zog wieder Ausgewählte Gedichte von ihm aus meinem Regal.
Jenseits von Jenseits wurde in Auszügen bereits vorgestellt, und wieder war ich berauscht von seinen Gedichten. Die kurzen sind besonders beeindruckend. Sie sind emblematisch und enigmatisch, kühl und spartanisch und deuten nur an, was klarer nicht gesagt werden kann. In Wandloser Raum, Meisters letztem Gedichtband, geht es viel um den Tod. Er erschien 1979, in dem Jahr, in dem er den Büchner-Preis bekam und am 15. Juni starb.
VOR MEINEN AUGEN
breitet sich
Hades. O
Name. Endlich,
wenn du dich auflöst
in Todesschweiß,
wird alles
getaucht
ins Wahre.
GEIST ZU SEIN
oder Staub, es ist
dasselbe im All.
Nichts ist, um
an den Rand zu reichen
der Leere.
Überhaupt
gibt es ihn nicht.
Was ist, ist
und ist aufgehoben
im wandlosen Gefäß
des Raums.
WIE ES EINER
gedacht hat,
Sterben:
Sich drehn
von der Seite der
Erfahrung auf die
der Leere, un-
geängstet, ein
Wechseln der Wange,
nichts weiter.
LANG ODER KURZ IST DIE ZEIT,
und das Wahre,
das sich ereignen wird,
heißt Sterben.
Danach bist du
gleichsinnig mit
der Erde, dem Himmel,
die sich nicht wissen.
(Aber wer bist du noch?)
Was eigentlich hieß denn das:
geboren, Zeit zu gebären
im Unterfangen des Bewusstseins —
wozu »ich«?
IN SÈTE
Den Stein verstand ich,
der die Namen trug,
ihn waagrecht, sein Gewicht.
Die Schädel drunten
dacht ich so: es wäre
Lehm daraus zu löffeln.
Bewusstsein, überlebt
vom Stoff.
Ich war
der Atmende, aufrechtes
Tier auf Erden noch —
im Weltriss häuslich.