Drei Schwestern

Drei Schwestern heißt ein Drama von Anton Tschechow, 1901 in Moskau uraufgeführt. Olga, Mascha, Irina sind die drei. Drei Schwestern oder drei Frauen sind sicher nicht häufiger als zwei oder vier, jedoch vermutlich häufiger als fünf oder sechs; aber da mich das Thema der drei Schwestern gerade verfolgt, muss ich es abhandeln.

Da gibt es den wunderbaren Roman Zeno Cosini von Italo Svevo (1861−1928), der auf Italienisch La coscienza di Zeno heißt und 1923 veröffentlicht wurde. Und da schon die erste Verblüffung: Ich war sicher gewesen, dass Giovanni Malfenti drei Töchter gehabt hatte, von denen der Erzähler eine ehelichte. Nun blättere ich das Buch durch, an das ich mich nicht mehr recht erinnere und sehe: Es waren vier — Ada, Augusta, Alberta und Anna. Über 70 Seiten hinweg gehen die Verirrungen der Gefühle, bis der Erzähler dann nicht Augusta bekommt, die er liebt, sondern Ada, die er auch liebt, aber weniger.  (Eigentlich grob: Dass er eine »bekommt« oder »kriegt«, als ginge es da um Besitz oder eine Tr0phäe; diese blöden alten Floskeln begleiten einen, und man muss sich selber immer auf die Finger schauen, die die Tastatur betätigen!)

Svevo, der eigentlich Ettore Schmitz hieß und in Triest lebte, nahe der österreichischen Grenze, hatte immer einen Hang zu Übertreibungen. Sein Buch ist bizarr, sarkastisch, freudianisch, voller Überraschungen und so geschrieben, als wäre es 50 Jahre später herausgekommen. Die Töchter, von denen ich drei angenommen hatte, mussten mich natürlich an die Töchter des Generals Jepantschin in Fjodor Dostojewskis »Der Idiot« erinnern, die tatsächlich drei sind und auch alle mit A anfangen: Alexandra, Adelaida und Aglaja. Der charmante »Idiot«, Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin, mag am liebsten Aglaja, die Jüngste, die mir nun auch wunderbar gefällt. Nastasja Filippowna: Nein, geht nicht, sie ist wirklich wahnsinnig.    

Drei Schwestern. So hieß das Bild immer schon: drei Loks aus den Nachbarländern Österreich, Schweiz und Deutschland, gesehen in Lindau (Foto: Helmut Krämer) .

Bei Shakespeares Macbeth treten gleich zu Beginn, an einem öden Ort (a desert place), die drei Hexen auf, und sie wechseln sich in ihrer Rede ab. Die erste: When shall we three meet again / In thunder, lightning or in rain?  Die zweite: When the hurlyburly’s done / when the battle’s lost and won. Die dritte: That will be ere the set of sun.    

Theodor Fontane (1819–1898) hat das in seiner Brücke am Tay verwendet:  »Wann treffen wir drei wieder zusamm?« / »Um die siebente Stunde, am Brückendamm.« / »Ich lösch die Flamm.« / »Ich mit.« / »Ich komme vom Norden her.« / »Und ich vom Süden.« / »Und ich vom Meer.« Ja: »Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand.« 

Hettie, Martha und Louisa Walker beim Baumwollspinnen. Foto von Edouard E. Exline, 1936 (Library of Congress)

In den germanischen Sagen kamen aus dem Riesenland drei gewaltige Schwestern. Aus einem Buch für Jugendliche: »Sie heißen: Urd, die Herrin des Vergangenen; Werdandi, die um das Seiende und Werdende weiß; Skuld, die kennt, was einst sein soll. Da endete die Zeit seligen Nichtwissens. … Oft hören wir, dass zwei von ihnen dem Neugeborenen Glück und Begabung in die Wiege legen, während die dritte durch ihren Spruch diesem Glück eine grausame Grenze setzt. Diese Grenze aber ist der Tod, und die, die ihn vorbestimmt, die jüngste der Nornen, ist die böse, tückische Skuld.« Die Zukunft kennen wir nicht, aber sie kann auch nichts dafür.  

Die drei Schwestern sind die Nornen. Bei Plato, dem griechischen Philosophen, sind es die Parzen mit den Namen Lachesis, Klotho und Athropos. Lachesis besingt die Vergangenheit, Klotho die Gegenwart, Athropos die Zukunft. Die Toten, die auf ein neues Leben warten, müssen zu ihnen. Sie wählen ein neues Leben nach dem Los – wer Glück hat, darf als erstes wählen (daher kommt wohl »unser Los«) – , und Lachesis schickt jedem einen »Dämon« als Beschützer mit, Klotho befestigt das Schicksal und Atropos macht es unveränderlich. Dann treten sie auf das Feld des Vergessens, trinken vom Wasser des Flusses Lethe und haben schon ihr früheres Leben vergessen. Und los geht es Mut hinaus in die Welt − zu einem neuen Leben.             

 

 

 

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