Schräggelegte Leserköpfe

Meine englischen Bücher stehen in zwei Regalfächern , daneben deutsche, und da musste es mir wieder auffallen: Um die Titel auf den Buchrücken lesen zu können, muss man bei englischen den Kopf schräg nach rechts legen, 45 Grad reichen schon. Bei deutschen Büchern lege man den Kopf nach links. Man könnte sagen, deutsche Titel sind von unten nach oben geschrieben, in Richtung Himmel; die englischen und amerikanischen umgekehrt: geerdet, nach unten. Schon eine Erklärung.

Nun gib es da eine kuriose englisch-italienische Koalition, denn die Italiener richten sich auch nach unten aus, man muss den Kopf nach rechts legen. Die Franzosen halten es wie die Deutschen. Irgend einen Grund muss das haben, so spontan fällt mir keiner ein, und bei Wikipedia schaue ich nicht nach, nein, und ich glaube auch nicht, dass es zu diesem Phänomen einen Eintrag gibt. 

Die je zwei russischen und polnischen Bücher in meinem Bestand haben deutschfranzösische Buchrücken-Titel. Auch die spanischen sind so. Die, bei denen man den Kopf nach rechts legen muss, sind also Ausnahmen, ähnlich wie die Länder, in denen man links Auto fährt. Halt, à propos Ausnahmen: Die kleinen gelben Reclam-Bände sind deutsche Ausnahmen. Titel nach unten: Goethe, Faust II.  

Da hätten wir also ein Phänomen aufgespürt, das der Aufklärung harrt. Fritz Schütte aus Berlin, Besitzer einer beeindruckenden Bibliothek mit Büchern aus vielen Ländern, konnte mir auch nicht weiterhelfen. Bewegungen des Kopfes nach links und nach rechts, schrieb er mir, seien in Antiquariaten die Regel. 

Aus Fritz Schüttes Sammlung. Piper nach unten, Titel nach oben: seltsam

Angelsächsisches Schrifttum nimmt auf der Welt einen großen Teil der Literatur ein. Warum Italien sich auf dessen Seite geschlagen hat, weiß ich nicht. Vielleicht, weil Italien immer alles etwas anders mach will: die Extrawurst. Aber was ich zu Anfang schrieb, ist vielleicht die schlüssigste Erklärung: Englische und amerikanische Bücher sind eher down to earth, Richtung Erde; der Deutsche liebt das »Luftreich des Traums« wie Heine in einem Gedicht geschrieben hat. Der Titel richtet sich nach oben aus, mot himmelen.      

Ein Kommentar zu “Schräggelegte Leserköpfe”

  1. Rolf Hannes

    Lieber Manfred, wie Du weißt, ich war mal Buchhändler in meinem ersten Leben. Und damals, vor 50 Jahren, war das schon ein Thema zwischen uns Buchhändlern. Warum steht der Text auf angelsächsischen Buchrücken andersherum, oder verkehrt herum, wie wir jungen Buchhändler spotteten. Wir haben Engländer und Amis gefragt, und sie behaupteten, unsere Buchrücken hätten die falsche Richtung. Denn, so sagten sie, wenn die Bücher im Stapel liegen, kann man alle Buchrücken gut lesen. Da ist was dran, mußten wir zugeben. Aber sie liegen selten gestapelt, eher stehen sie im Regal. Und was mich angeht, so lege ich lieber den Kopf nach links statt nach rechts.

    Einige der deutschen Verleger, die immer gern ins Angelsächsische schielten, übernahmen in den letzten Jahren diese Kehrtwendung. Was soll’s, seufze ich. Der deutsche Buchhandel ist sowieso sehr amifiziert. Da kommts auf einige Buchrücken nicht mehr an. Hab ich Dir das mal erzählt, wie die Fassade der Herderschen Buchhandlung auf der Kajo aussah, als ich dort Lehrling war? Da prangte über die Front eine riesige Glasscheibe mit dem Text: LITERARISCHE ANSTALT. Das waren noch Zeiten. Jetzt ist aus dem Laden dank des Molochs Thalia ein Supermarkt geworden. Jetzt haben wir die schöne neue Amiwelt.

    Ein kleiner Trost: Beim Lesen brauchen wir den Kopf weder nach rechts noch nach links zu legen.
    Servus Rolf