Monk, der Mönch

Ich war 16 Jahre alt, schon eingeweiht in die Rockmusik, und trieb mich gern im Schallplattenladen von Fürstenfeldbruck herum, nur um zu schauen; 19,90 Mark für eine Platte war viel Geld. Ich wollte Jethro Tull oder Deep Purple oder Genesis, aber magisch zogen mich die spartanischen Hüllen der Jazz-Platten an. Auf einer stand ein rätselhafter Name: Thelonious Monk.

solo-monk-vinyl-thelonious-monkJazz kaufte ich nie, aber damals schon, vor 50 Jahren, ging von diesem Namen auf den Platten-Covers eine eigentümliche Faszination aus. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich irgendwie vermutete, dahinter müsse sich ein Geheimnis verbergen. Der US-Pianist Thelonious Sphere Monk, der von 1917 bis 1982 lebte, war ein Solitär, eine Art Mönch, wie sein Name sagt. Der Franzose Peter Szendy (geboren 1966) hat in seinem Buch Membres Fantômes (2002) auch über Monk geschrieben, und das müssen wir erst wissen.

Monk war ein rätselhafter Mensch, vergraben in seine Musik, schwermütig und isoliert. Er lebte lange bei seiner Mutter und konnte sich ungestört aufs Komponieren und Spielen konzentrieren. Zwar heiratete er, und seine Frau Nellie gebar sogar einen Sohn, aber der Vater war abwesend, blieb manchmal tagelang unauffindbar, und seine Frau kümmerte sich immer gut um ihn, weil er in der Welt so hilflos war. Später, ab 1970, verstummte Monk, versank in Depressionen und rührte sein Instrument nicht mehr an. Leben ist schwer. Man sollte im Wikipedia-Artikel über ihn (in der zweiten Hälfte) das Kapitel Der Mensch Thelonious Monk lesen, das ist großartig geschildert, da versteht man mehr. (Endlich mal ein Lob für Wikipedia, auf das wir nicht verzichten können, ehrlich. Ich seh’s ja ein.)

Peter Szendy schreibt über die Legende Monk, sie (er) habe die Erfahrung der Distanz gemacht, der Distanz von sich zu sich, was er immer wieder mit einem Instrument ausgedrückt habe.

RmonkkyDas ist es, was man hört, wenn er solo spielt. Seine linke Hand bewegt sich unbeirrt im alten Stil »stride«: eine Bass-Note auf dem ersten Tempus, einen Akkord auf dem zweiten, und so weiter, ins Unendliche, unermüdlich. (…) Während seine rechte Hand um so agiler auftritt, anrempelnd, dissonant, launenhaft, insistierend, sich wiederholend, eckig, machmal gewollt linkisch, ja, »links«. … Immer unvorhersehbar agierend, scheint sie die andere Hand zu ignorieren, die linke da drüben, die so regelhaft bleibt und streng und rechthaberisch, fast gleichgültig.
Zwischen ihnen liegt mehr als nur eine Dissonanz im Stil: eine Welt liegt zwischen ihnen. Ein aufmerksamer Zeuge — ein Pianist, der ihm oft zugehört hat — konnte schreiben: »Links die Klassik, rechts die Moderne. Man zieht die linke Hand zurück, und man hört Monk zwanzig Jahre später. Ohne die rechte Hand ist es der Jazz von vor zwanzig Jahren.« Wenn ich richtig rechne, liegen also zwischen seinen beiden Händen vierzig Jahre. (…)
Manchmal bin ich versucht, mir zu denken, dass zwischen den beiden Händen von Monk auch Jahrhunderte liegen könnten. Vielleicht auch Jahrtausende, zwischen seiner rechten Hand, die manchmal so links wirkt und der linken, die immer rechtschaffen unterwegs ist.

Vielleicht können dies nur Pianisten und Pianistinnen voll und ganz würdigen. Thelonious Monk stand manchmal sogar auf, wenn er im Ensemble spielte, und tat ein paar täppische Tanzschritte, sichtlich außer sich. Oder er tappte mit den Füßen in der Luft, spielte auch da den Bass. — Das mit den Händen ist etwas Äußerliches. Monk spielte tatsächlich auch anders. Wenn wir gleich von ihm Caravan hören, erkennen wir die Melodie kaum: Sie ist zerstückelt, dekonstruiert, als vages Motiv unter den Bässen ahnbar, doch es schwingt und treibt sich voran; das war eben das ureigenste Verständnis des Mönchs von Jazz.

Doch nun sehen wir uns einen 20 Minuten dauernden Mitschnitt von Monk bei den Berliner Jazztagen 1969 an, wobei die Kamera eingehend seine Hände und Finger zeigt, und wir sehen vielleicht, was Szendy uns erläuterte.

 

 

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