Robert Walser

Nur kurz kam es bei manipogo zur Sprache, das Buch Wanderungen mit Robert Walser von Carl Seelig (Suhrkamp 1990). Ich hab’s nochmal gelesen, weil ich die Ostschweizer Landschaft, durch die da gewandert wird, kenne und mag. Walser, der Insasse im psychiatrischen Krankenhaus von Herisau, war gar nicht verrückt; das zeigen die Zitate aus dem schönen kleinen Buch.

2023-03-26-0006Robert Walser (1878-1956) hinterließ ein paar inspirierte und gemütvolle Romane, und der Stil des Schweizers war neu und frisch. Er versuchte, als Schriftsteller in Berlin und Bern sein Auskommen zu finden, doch die Verleger waren mit seiner Arbeit nicht zufrieden. Er hatte zuwenig Erfolg. 1933 ließ er sich in die Heilanstalt Waldau bei Bern einweisen und kam später in die Anstalt nach Herisau (Kanton Appenzell-Ausserrhoden).

Seelig, sein Förderer, traf ihn von 1940 bis 1956 zwei- oder drei Mal im Jahr zu einer Wanderung. Er 2023-03-26-0007kam mit dem Zug, und dann stiefelten sie los, auch bei Regen. Sie gingen nach St. Gallen, Flawil, Teufen und Trogen und durchquerten Rehetobel. Sie aßen gut und tüchtig, tranken Wein und philosophierten. Seelig schrieb alles hinterher auf. Walser war manchmal einsilbig, weil schlecht gelaunt, dann wieder ging er aus sich heraus, bis er zum Abschied Seelig die Hand gab und manchmal sagte: »War das nicht ein lieber Tag?« Er hatte gute, feste Ansichten; Walser war ein wahrer Schriftsteller. Und ein unermüdlicher Wanderer. Keine Straße war ihm zu weit.

 

Der Künstler muss sein Publikum entzücken oder quälen. Er muss es zum Lachen oder Weinen bringen. … Ich habe absichtlich nie im Dialekt geschrieben. Ich fand das immer eine unziemliche Anbiederung an die Masse. Der Künstler muss zu ihr Distanz halten. Sie muss vor ihm Respekt empfinden. — Die Dichter sollten sich grundsätzlich verpflichtet fühlen, edelmännisch zu denken und zu handeln und nach dem Hohen zu streben.

Ohne Liebe ist der Mensch verloren.

Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen. Das habe ich mein ganzes Leben so gehalten. Ist es nicht schön, dass in unserem Dasein so manches fremd und seltsam bleibt, wie hinter Efeumauern. Das gibt ihm einen unsäglichen Reiz, der immer mehr verlorengeht. Brutal wird heute alles begehrt und in Besitz genommen.

Heute wird überhaupt viel zu viel gereist. Rudelweise brechen die Leute in fremde Landschaften ein, ohne Scheu, als seien sie die legitimen Besitzer. … Wichtig ist nur die Reise zu sich selbst.

2023-03-26-0008In meiner Umgebung hat es immer Komplotte gegeben, um Ungeziefer wie mich abzuwehren. Vornehm-hochmütig wurde immer alles abgewehrt, was nicht in die eigene Welt passte. … So habe ich mein eigenes Leben gelebt, an der Peripherie der bürgerlichen Existenzen, und war es nicht gut so? Hat meine Welt nicht auch das Recht, zu existieren, obwohl es scheinbar eine ärmere, machtlose Welt ist?

Merkwürdig, wie das Bier und die Dämmerung alle Lasten wegschwemmen können!

Man lebt und dichtet nicht ungestraft ohne Liebe.

Beachten Sie einmal die Gesichter der heutigen Schriftsteller! Es gibt darunter wahre Schurken- und Mördergesichter. Gute Menschen haben in der Kunst vielleicht überhaupt nichts zu suchen. Will der Künstler etwas Interessantes produzieren, so muss er einen Dämon mitbringen. Engel sind keine Künstler.

Ω Ω

Dann kam Weihnachten 1956. Meist waren die beiden aufeinander eingespielten Wanderer an Weihnachten unterwegs. Doch nun war Seeligs 2023-03-26-0005Hund krank, und er verschob den Ausflug schweren Herzens auf Silvester. Robert stapfte unverdrossen alleine los. Seelig malte sich die Szene später aus:

Es muss jetzt ungefähr halb zwei sein. Die Sonne scheint wie ein junges, etwas bleichsüchtiges Mädchen. Nicht sieghaft-grell, eher zart-melancholisch, als wolle sie heute die liebliche Landschaft schon früh der Nacht überlassen. 
Da beginnt der Herzschlag des Wanderers plötzlich zu stocken. … Da — was ist das? Er fällt jählings auf den Rücken, hebt die rechte Hand gegen das Herz und wird still. … 

Zwei Buben finden den Leichnam.

Der Tote, der an der Schneehalde liegt, ist ein Dichter, dessen Entzücken der Winter mit seinem leichten, lustigen Flockentanz war — ein echter Dichter, der sich wie ein Kind nach der Welt der Stille, der Reinheit und der Liebe gesehnt hat:

Robert Walser.

Die erste Ausgabe der Wanderungen erschien 1957. Der 1894 geborene Zürcher Mäzen und Schriftsteller Carl Seelig (die Fotos sind von ihm) starb 5 Jahre später, am 15. Februar 1962.

Weitere Beiträge mit Walser:

AngekommenWandern im HadesDrei Utopien

Ein Freund wies mich auf die Kritische Robert-Walser-Ausgabe hin. Da steht mehr über ihn!

 

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