Nichts zu tun … (3)

Ich bin ja zuweilen noch ehrenamtlich tätig im Heim. Vielleicht versuche ich es noch einmal mit dem Stück. Es gibt ja immer mal wieder neue Bewohnerinnen, weil manche nur zur Kurzzeitpflege hier sind, und neue Leute, neues Glück! Mir gefällt das Stück wirklich; es hat Humor, und alles reimt sich, wie man schon gemerkt haben wird. 

Szene 5

ENGEL

Da draußen herrscht frenetische Mobilität.
Sie rasen rum von früh bis spät.
Hier aber herrscht Stille, herrscht das Schweigen,
es singen Vögel, s’flüstern Geigen … (lauscht in die Luft)

Pflegerin Tonia mit dem Handy am Ohr läuft nach vorn, rennt den Engel fast um. Der schiebt zwei Rollstühle eng zusammen.

Tonia: Nen Unfall gab’s im zweiten Stock,
zwei Rollstühle verkeilt, was für ein Schock!

Sie läuft nach hinten zu den Rollstühlen, gestikuliert, deutet herum, schreit lautlos. Ein anderer ist dabei und schimpft auch. – Von der anderen Seite kommt Tessa gelaufen, auch das Handy am Ohr, auch aufgeregt.

Tess: Ja, hab verstanden, hol ihn gleich.
Der Schorsch schon wieder, ist sein dritter Streich.
Am Marktplatz wurde er ergriffen,
wollte zum Hafen, zu den Schiffen,
die hier im Wald doch eher selten sind.
Ich laufe hin, schnell wie der Wind. (Ab.)

DER ENGEL

Wie war das mit den Vögeln und den Geigen,
der Stille und dem tiefen Schweigen?
Normalerweise ist hier doch Buddhismus pur,
des Menschen innerste Natur.
Sie sitzen hier im Licht,
was draußen vorgeht, das berührt sie nicht.
Kein Auto, Smartphone, Penthouse, kein Familienstreit –
nur Bett und Schreibtisch, Essen und auch diese Müdigkeit.
Sie leben, ohne es zu wissen, streng im Augenblick,
was andere gern hätten, dieses Glück.

Die andern sind trotz Achtsamkeit stets abgelenkt,
weil man doch zuviel rummacht, plant und denkt.
Der Bruder Sonne wärmt ihnen die Haut

(deutet nach hinten),

ihn lieben wir, ihm sind wir angetraut.

Klara: Wir denken trotzdem, nur auch an vergangne Zeiten,
als wir zu zweit durchs Leben durften schreiten.
Die Kinder, Auto, Job und Haus,
das war einmal, damit ists aus.
Ein frühres Leben war einmal,
dort hinten in dem fernen Tal.

Rut: Es ist so schrecklich, es ist eine Qual,
Es muss etwas passiern, ich habe keine Wahl.
Ich hol mir jetzt ein Taxi, fliege fort
zu Karl-Heinz nach Rangun, zu diesem fernen Ort.
(Ab.)

Peter: Sie war mal Lehrerin für Englisch und Geschichte
und nie verheiratet, wenn ich das recht berichte.
Sie wird schon wissen, was sie tut.
Wir warten ab, nur ruhig Blut.

Maria: Wo bin ich hier? Ich bin benommen.
Weiß nicht, wie ich hierher gekommen.
Unten im Keller geht’s ins Freie,
und haltet mich nicht auf, denn sonst ich schreie. (Ab.)

Peter: Maria hatte viele Angestellte
in ihrer Firma mit Elektro, Umbau, Kälte.
Bis sich dann irgendwann ihr Geist verdunkelt.
Sie hatte zuviel Stress, wie man hier munkelt.
Klara: Wir beiden bleiben, rück näher her zu mir.
Denn wir verstehen uns, und ich gestehe dir,
ich mag dich gern. Lass uns aufs Abendessen warten,
Rindfleischsalat und Rösti. Morgen wieder in den Garten.

(Sitzen einträchtig.)

Szene 6

Tonia und Tess treten neben die zwei und sprechen zum Publikum.

Tonia: Beim Zählen fehlten mir grad zwei.
Die Rut und die Marie, da steht ihr Brei.
Wo die sich wohl wieder verstecken.
Wir sollten sie recht bald entdecken.
Tess: Ich frag Klara und Peter, ob sie etwas wissen
Seit wann die beiden sie vermissen.

(Sie tuscheln, dann gehen die beiden Pflegerinnen weg.)

Klara: Man soll den Magen ja nicht überlasten.
Statt Abendessen könnte man auch fasten.
Peter: Wie Fastenspeise ist das Abendessen,
so wenig wars, kannst du vergessen.
Klara: Ich hab ja noch ne Tafel Schokolade
bei mir ganz oben in der Schrankschublade.
Peter: Und ich ein Fläschchen süßen Wein.
Ich komm vielleicht zu dir, zum Lustigsein.

DER ENGEL

Um sieben tritt erneut die Stille ein.
Man wird zu Bett gebracht, mit oder ohne Wein.
Doch hat die Pflege ein Problem, nein zwei. Schon wieder.
Ich geh mal weg, sonst rennen sie mich nieder.

Tonia: Maria ist nicht wieder aufgetaucht.
Ich glaube, dass man Hilfe braucht.
Tess: Check doch den Chip, ist leicht
Das Smartphone das Signal erreicht.
Rut ist wohl mit nem Taxi hier entflohn,
wie damals, als sie fuhr nach Iserlohn.
Tonia (tippt auf ihrem Smartphone herum):
Vom Keller kommt dieses Signal.
Bewegt sich nicht. O welche Qual.
Tess: Ich schau mal hin, dann wissen wir Bescheid,
ob sie noch lebt, ist ja nicht weit. (Ab.)

Tonia: Nun bräuchte man nen Engel, kann nur hoffen.
Der Ausgang dieser Sache ist weit offen.

Tonia: Ja? Was, da stehn nur Autos rum?
Der Chip, der klebt am Rollstuhl? Gar nicht dumm.
Maria ist wohl über alle Berge
wie Schneewittchen, ins Haus der sieben Zwerge.
Was, der Ferrari-Platz ist leer?
Freut unsre Leiterin dann sehr.
Der war doch rosso, kaum gebraucht,
mit dem ist sie oft aufgetaucht.
Ich ruf sie besser gleich mal an,
dass sie die Polizei herholen kann.
(denkt nach)

Stellt euch mal vor, Maria im Ferrari!
Überholspur. Um drei Uhr morgens Bari.
Dann weiter, ihr Ziel ist ja nicht China,
sondern Sizilien: die Fähre nach Messina.

(Ab.)

DER ENGEL

Das Heim ist in die Nacht nun eingehüllt,
das Traumreich mit alten Gestalten sich nun füllt.
Der Nachtdienst macht sich auf die Runde,
und so vergeht Stunde um Stunde.
Rainer ist ruhlos, steht in Friedas Zimmer.
Von nebenan dringt ein Gewimmer.
Die eine plagt der Magenschmerz,
die andere das schwache Herz.
Dagegen gibt’s eine Tablette,
dann geht man wieder still zu Bette
oder auch auf die Toilette,
wie man es gerne hätte.
Wir Engel müssen ja nicht schlafen,
erholen uns im ewgen Hafen.

Geht auf und ab. Streckt sich. Die Pflegerinnen vom Anfang stellen sich auf.

Was? Die beiden wieder? In der Morgenschicht?
Wir kennen Tania und auch Tina, s ruft die Pflicht.

Tania: Das war wie immer eine kurze Nacht.
Tina: Ich hab kein Auge zugemacht.
Tania: Maria fehlte. Aufgetaucht. Und weißt du wo?
Tina: Ja lebt sie noch? Da wär ich aber froh.
Tania: Der Nachtdienst hörte ein Gejammer
aus einer kleinen Abstellkammer.
Sie ist wohlauf und will schon wieder weg.
Tina: Soll sie! Hauptsache, sie ist hier an Deck.
Hat den Ferrari man gefunden?
Tania: Auch das hat sich geklärt, nach Stunden.
Der Renner war nicht in der Tiefgarage,
sondern stand draußen, was für ne Blamage!
Die Leiterin hat auf der Straße ihn geparkt,
so fiel ihr ein, war nahe am Infarkt.
Sie meint, das hätte sie verpennt
und glaubt nun, sie wird gleich dement.
Will heute sich im Heim anmelden.
Tina: Das sind Chefs, ganz große Helden.
Tonia: He, bei mir piepts. Ne SMS.
Mein Smartphone, das ich nie vergess.

(Liest)

Wir fliegen. Nachbar Salam will schon marry me,
hat eine Villa und viel Vieh.
Karl-Heinz ist vom Gefängnis raus,
so hoff ich; er ist unterwegs nachhaus.

Tania: Rut hat nun in Rangun
gar nichts mehr zu tun,
als höchstens, ihren Salam zu verwöhnen.
Ich hör sie schon fast stöhnen.
Im Bett versteht man sich ja ohne Wort,
vergisst gleich alles, will auch nie mehr fort.

DER ENGEL (drängt sich durch, schiebt sie beiseite)

Nein, wie mir das gefällt!
Vergesst es aber nicht: Aus dieser Welt
kommt keiner jemals lebend raus.
Aus dem Theater schon. Drum macht was draus!
Ich geb euch meinen Segen, denn:
Das Stück ist AUS.

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