Exhibitionisten

Bei einem Flohmarkt der Stadtbücherei Landsberg am Lech fand ich zwei schöne Titel: Vom Ende der Unschuld (Autorin: Naomi Wolf) und Die raffinierten Sexpraktiken der Tiere von Olivia Judson, das bestimmt auch einen hübschen manipogo-Beitrag hergibt. Wieso sondert die Landsberger Bibliothek solche Titel aus? Über Sexualität kann man nicht genug wissen, meine ich.

Zuvor hatte ich in einem Antiquariat der Stadt noch The Prime of Miss Jean Brodie entdeckt, einen kleinen großartigen Roman von Dame (die weibliche Entsprechung des Sir) Muriel Spark, einer schottischen Autorin, die 1918 in Edinburgh geboren wurde und 2006 in Florenz starb. In dem Wolf-Buch und bei Frau Spark gibt es je eine Geschichte mit einem Exhibitionisten, die jungen Mädchen anscheinend gerne auflauern.  

Miss Brodie ist übrigens eine progressive Lehrerin, die  eine Gruppe von Mädchen um sich schart, um sie zu Höchstleistungen zu bringen, und ihr Einfluss ist stark und wird die Mädchen ein Leben begleiten, jedoch liegt ein Schatten darüber, denn Jean Brodie macht aus ihrer Sympathie für die Faschisten (Mussolini) keinen Hehl, und ihre Dominanz über die Mädels ist  beklemmend und auch faschistisch. 

Eines Tages geht Jenny aus dem Brodie-Team alleine spazieren, und ein Mann entblößt sich freudig am Fluß Leith. »Komm und schau dir das an«, sagt er. Jenny dachte, er habe vielleicht ein Vöglein aus einem Nest befreit oder eine seltsame Pflanze entdeckt. Als sie die Wahrheit wahrnahm, entkam sie ohne Schaden, meldete den Vorfall und wurde von einer Polizistin befragt, deren männliches Auftreten die Mädchen dann mehr interessiert als der Mann mit seinem Vöglein. Miss Brodie erfährt nie von dem Vorfall, und da sind die Schülerinnen zum ersten Mal autonom.   

Bei Naomi Wolf, die in ihrem 1999 erschienenen Buch über ihr Heranwachsen und ihre Sexualität in den 1970-er Jahren berichtet, ist das Erlebnis mit dem Exhibitionisten bedrohlicher. Ein junger Mann ruft sie an: »Kleine! Ich habe meine Kontaktlinsen verloren, hilfst du mir suchen?« Da suchen sie dann im Laub herum. »Ich sah jetzt, dass sich seine Hand in eigenartiger Weise auf einem Ding bewegte, das es einfach nicht geben konnte: etwas Langem, Weißem, sehr Lebendigem. Ich hatte nicht geahnt, dass man so Angst haben konnte, ohne zu sterben.« Denn sie spürt plötzlich, dass der Typ sie vergewaltigen will.

Von diesem »Ding« fühlte sie, dass es die Ursache für die Bösartigkeit des Mannes war, und nun musste sie ihr Leben retten; aber Naomi täuscht ihn, deutet hinter ihn, ruft »Da!« und rennt weg. Die Verwalter des Campinglagers tun unbeteiligt und ziehen sich vor ihrer Angst zurück. Ihr wurde vermittelt, dass es im Grunde ihre Schuld war und dass »die Jungen im Grunde unsere Leibwächter waren«. Plötzlich zeigen die Begleitumstände um dieses entblößte Sexualorgan die ganzen Gefahren, die auf sie, die 16-Jährige, in der Zukunft warten.  

Wie der Penis auf Arabisch heißt, weiß ich nun (qhadhiib oder zebb), seit die Frankfurter Allgemeine Zeitung gestern (Autorin: Felicia Englmann) das Buch Sex und die Zitadelle von Shereen El Feki besprach. Auch die Vokabel für Oralverkehr und Orgasmus werden genannt, aber ein Geschlechtsorgan scheint bei der FAZ nur der Mann zu haben. Die Klitoris wurde, schreibt Naomi Wolf, erstmals 1559 von dem venezianischen Wissenschaftler Renaldus Columbus erwähnt (»vorrangig der Sitz der weiblichen Lust«), und die Londoner Hebamme Jane Sharp beschrieb die Klitoris als männlichen Penis: Er »macht Frauen lüstern und verschafft ihnen Vergnügen beim Beischlaf.«     

Naomi Wolf: »Das Wissen, dass sexuelle Lust sexuelle Gefahr bedeutete, und dass wir an allem, was uns je zustoßen würde, selbst schuld wären, lähmte unsere Energie anhaltend. … Im Laufe der kommenden Jahre wechselten wir zwischen Wut, Verdrängung und Verzweiflung hin und her. Als Erwachsene würden wir abgestumpft und den Umgang mit der täglichen Not gelernt haben.Vielleicht ist Gewöhnung an das Undenkbare eine der Definitionen dessen, was es heißt, eine Frau zu werden.« Das Sexualorgan. Das Auto, sein Vertreter. Die Gefahren.

 

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