Die „Städte der Kunst“

Ach, wenn in den italienischen Fernsehnachrichten die Moderatorin wieder über die »città d’arte«, spricht, die Städte der Kunst in Italien, dann geht es meist darum, dass sie wieder supergut besucht waren an einem Wochenende, und eine englische Touristin oder ein deutscher Tourist dürfen einen Satz Lob sagen. Dass alles so toll ist.

DSCN4566Es ist immer dasselbe Ritual. Im vergangenen Jahr besuchten 4,5 Millionen Touristen Florenz und 36,6 Millionen Rom. Auf einen Einwohner kommen im Jahr zehn Touristen. Millionen kommen auch nach Pisa. Die Karten für den schiefen Turm sind für Wochen ausgebucht. Venedig hat 30 Millionen Touristen im Jahr — und gerade noch 100.000 Einwohner. Die großen Kunststädte sind natürlich von April bis Oktober fast ausgebucht. Da ist es kaum auszuhalten.

Man muss anscheinend einmal in Florenz oder Rom gewesen sein. Es ist ein Reflex, egal, ob einem die große Kunst der Renaissance etwas bedeutet oder nicht. Florenz und Rom sind ein colossoMuss, aber ein Wahnsinn ist es trotzdem, dass täglich 100.000 Menschen in Rom einfallen. Sie verteilen sich ja nicht übers Stadtgebiet, sondern bevölkern die historischen Teile: vom Kolosseum über die Via dei Fori Imperiali hin zum Altar des Vaterlandes; Piazza Navona, Fontana di Trevi, Circo Massimo und was sonst noch berühmt ist: der Vatikan und die bekannten Kirchen. Die ganze Innenstadt ist voller Touristen, und man hört, im Sommer würden sogar Betten knapp. Man will gar nicht wissen, ws da eine Nacht in einem Vier-Sterne-Hotel kostet.

Italien lebt gut vom Tourismus, doch eine Landplage ist er trotzdem. Es geht ja Barcelona, Paris und München ähnlich. Was suchen diese Leute dort? Herumfahren und herumgucken tun sie, als folgten sie einem Befehl. Die Touristen laufen herum, machen Fotos, essen und trinken und gehen müde zu Bett. Was nehmen sie mit? Danach muss man nicht fragen. Ihre Fotos. Was machen sie damit? Sie zeigen sie den Bekannten, die sie noch nicht mit What’s Apps damit beglückt haben.

Es genügt schon, mit dem Zug auf Stazione Termini in Rom anzukommen und sich seinen Weg durch Tausende Entgegenkommende zu pflügen. Hunderte andere stehen in Siena gut bepackt am Bahnhof und nehmen den Zug nach Firenze Santa Maria Novella. Eine Bekannte erzählte mir von ihrem Aufenthalt in Florenz: Ihr Mann habe vor den Uffizien eine Panikattacke bekommen. Da wartet man drei Stunden an der brütenden Sonne bis zum Einlass. Und das nur, damit man die Werke von Giotto und Michelangelo sieht. Der David von Letzterem war nicht zu sehen, unmöglich. Ein dichtes Knäuel von Menschen stand davor.

Was ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein Spleen der Engländer war — Kunststädte und Sehenswürdigkeiten in der Schweiz aufzusuchen —, ist heute zu einer Massenbewegung geworden, die nur noch abstoßend ist. Man halte sich fern davon!

 

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