Nichts bleibt ungetan
Taten statt Worte stand bekanntlich, ernst gemeint, auf den T-Shirts der Mitarbeiter eines Schweizer Baumarkts (manipogo berichtete im Mai). Kürzlich sah ich in Fessenheim bei einem jungen Mann eine witzige Aufschrift, sozusagen das Gegenstück zu der Ansage der Schweizer. (Kommt gleich.) Man sieht viele witzige Aufschriften auf Körpern, das wäre eine schöne Serie wert.
Die beiden Worte führten in die Irre. »Tu’s einfach!« Ging man näher hin, verkehrte sich die stramme Aussage durch die Unterzeile in ihr Gegenteil. »Tu einfach … nichts.« Ich war platt, grinste, war begeistert.
Solche paradoxen Botschaften freuen den Philosophen. Dabei war es nicht einmal paradox; die echte Botschaft war vollständig, nur der zweite Teil verborgen, weil kleiner gedruckt. In Tao-te-King, an das ich sogleich denken musste, ist es wirklich paradox. Das Buch mit seinen nur 80 Seiten ist um 400 vor Christus entstanden und vielleicht nicht nur von Laotse, von dem man gar nicht weiß, ob er wirklich gelebt hat. Einerlei; das Buch ist ein Füllhorn.
Es geht darin um Staatskunst und die Verwaltung eines Reichs und wie ewiger Frieden zu schaffen wäre. Dem Herrscher wird geraten:
Tu das, was darin besteht, zu keiner Handlung zu greifen, und Ordnung wird vorherrschen.
Immer wieder geht um den Weg, der als Urgrund des Seins gilt und unbeschreibbar ist.
Der Weg handelt nie, dennoch bleibt nichts ungetan.
Der Weg ist einfach da, unsichtbar. Dieselbe Formulierung wird auch auf den Weisen angewandt, der vielleicht auch durch Beten etwas erreicht oder durch sein Dasein, sein Beispiel. Die Passivität wird gepriesen, wenn man an höherer Stelle sitzt. Man solle die Rolle des Mannes kennen, aber diejenige der Frau einnehmen.
Im Verfolg des Lernens weiß man jeden Tag mehr;
im Verfolg des Wegs tut man jeden Tag weniger.
Man tut immer weniger, bis man überhaupt nichts mehr tut,
und wenn man überhaupt nichts mehr tut, bleibt nichts ungetan.
Das Reich wird nur erobert, wenn man sich nicht einmischt.
Solltest du dich einmischen, bist du dem Unternehmen, das Reich
zu erobern, nicht würdig. (XLVIII)
Sich einmischen … Denken wir an die US-Amerikaner, die in vielen Ländern, deren Potentaten ihnen nicht genehm waren, heimlich die Rebellen und die Opposition unterstützten. Die Sowjetunion hielt es genauso, und so kam es zu Stellvertreterkriegen. Und am Ende war der neue Herrscher schlimmer als der alte (worunter ja »nur« die Bevölkerung litt) oder die Rebellen entpuppten sich als Feinde der USA (unterstützten die USA nicht anfänglich Al-Qaida?).
Ohne sich im Ausland umzutun,
kann man die ganze Welt kennen;
Ohne aus dem Fenster zu blicken,
kann man den Weg des Himmels kennen.
Je weiter man geht,
desto weniger kennt man.
Deshalb weiß der Weise, ohne sich umtun zu müssen,
begreift, ohne sehen zu müssen,
vollendet, ohne handeln zu müssen. (XLVII)
Und noch einmal:
(…)
Deshalb begehrt der Weise, nichts zu begehren
Und schätzt keine Güter, die schwer zu erringen sind,
Lernt, ohne Lernen zu leben
Und macht die Fehler der Vielheit wieder gut,
Um den Myriaden Kreaturen zu helfen, natürlich zu sein
und davon abzustehen, sich handeln zu trauen.
Das sollten Schüler ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin präsentieren, die dann vermutlich einen Tag brauchen, um eine Antwort darauf zu finden. Der Chef oder die Chefin, König oder Königin sollte im Hintergrund bleiben und sich nur melden, wenn es ernst wird; allein durch ihre Anwesenheit wirken die Chefs, sie müssen nicht jedes Detail kontrollieren, das macht die Mitarneiter nur nervös.
Beim Schreiben eines Buchs und beim Regieren eines Staats benötigt man Fingerspitzengefühl und Stil, gesunden Menschenverstand und Anstand. Es ist eine Aufgabe wie jede andere, die man ruhig und planvoll angehen muss. Im Tao-te King heißt es denn auch:
Einen Staat zu leiten ist wie einen kleinen Fisch braten.
♣ ♣ ♣
Noch drei Zitate habe ich zu dem Thema gefunden. In dem Buch Das Wirken der Uenendlichkeit von Carlos Castaneda sagt der Schamane Don Juan über den von ihm so genannten Krieger-Wanderer:
Er geht dahin, wohin der Impuls ihn führt. … Vor allem liegt seine Macht darin, dass er nicht eingreift. Ereignisse haben eine Kraft, ihre eigene Schwerkraft, und ein Wanderer ist nur ein Wanderer. Alles um ihn herum ist nur für seine Augen bestimmt.
Und ein Satz aus einem Autobus der Zürcher Verkehrsbetriebe:
Nichts tun.
Und dabei Gutes tun.
Kleiner: »Der ÖV verursacht nur 3,7 % der CO2-Emissionen des Gesamtverkehrs im Kanton Zürich.«
Und schließlich noch Cato, der römische Staatsmann und Philosoph (95-46 v. Chr.):
Niemals ist man tätiger, als wenn man dem äußeren Anschein nach nichts tut, niemals ist man weniger allein, als wenn man in der Einsamkeit mit sich alleine ist.
Dazu auch:
Die Kunst des Krieges — Im Tausendjährigen Reich