Ansteckungs-Phänomene

Die Angst vor Ansteckung hat uns ja ein paar Jahre begleitet. Sie war begründet, das Virus existent … zumindest sagten das alle, die es wissen müssten, doch wir haben’s nie gesehen. Wir mussten daran glauben. Selig, die nicht sehen und doch glauben! Ebenso rätselhaft ist die psychische Ansteckung durch Ängste oder schlechte Laune; und eine Art Psi-Ansteckung, die man nicht erklären kann.

Wenn zwei Menschen eng zusammen sind, tauschen sie sich verbal aus, aber vielleicht auch auf andere Weise.

Einmal war ich mit Giovanna in einem chinesischen Restaurant, und am Ende bekam jeder einen kleinen Orakelspruch. In jenem Fall war der ihrige genau  auf mich gemünzt und mein Spruch auf sie. Einmal war sie wegen Kniebeschwerden beim Arzt; sofort tat mir mein Knie auch weh. In Rom spielte ich damals im Infernetto gern mit der Schäferhündin Eva, die dann einmal eine Wunde an der Nase hatte; und bald darauf hatte ich auch eine, unerklärlich, woher das kam.

Mit Gegenständen ist es noch rätselhafter. Meine Mutter hatte Probleme mit ihrem Spülkasten, und ein Handwerker war da; am nächsten Abend funktionierte meiner auch nicht mehr. — Giovanna rief empört an: Sie habe eine Maus im Keller! Am Abend ging meine Computermaus nicht mehr, nichts zu machen. (Was nicht hieß, dass die Maus im Keller gestorben war.) — Auch eine Geschichte aus Chile ist bemerkenswert: Mein Freund wollte unbedingt ins Casino, ich hatte null Lust, es ekelte mich an. Und dann versagte der Motor des Wagens, eines VW Passat. Wir mussten ihn abschleppen lassen und fuhren also nicht ins Casino. Vielleicht hatte meine Unlust etwas getan …

DSCN4902Gut zu verstehen ist, dass es in Restaurants zu seltsamen Häufungen kommt. Da schwebt anscheinend eine Bestellung gedanklich in der Luft, und andere greifen sie auf. Ich vermerkte (1992): »Manchmal ist Chianti-Tag, wenn einer damit anfängt. Nach dem ›Coup de Milieu< erkundigte sich monatelang keiner, dann an einem Abend taten es zwei. … Ein Mann wechselt an einem Abend seinen Platz, Frau und Mann tauschen woanders Plätze; Geld wird vertauscht. … Zwei Tische hatten an einem Abend eine Rechnung mit demselben Betrag, 146,50: ungewöhnlicher, hoher Betrag.«

In der großen Presse-Agentur, für die ich Auslandsberichte redigierte, fiel mir auf, dass es Tage gab, an denen sich gleich mehrere Korrespondenten im Tag irrten, also Mittwoch schrieben, während es Donnerstag war.

Und zum Schluss noch drei Episoden mit körperlichem Aspekt. In dem Beitrag Erhält Krankheit gesund? war Gerd Overbeck mit einem Satz zitiert worden: »Der Mensch ist in erstaunlich hohem Maße in der Lage, seine Organe und Funktionen nach ganz persönlichen Motiven einzusetzen.« Im ersten Fall geht es um jemanden, der schwitzt (wie die Frau in der Mitte des Beitrags über das Overbeck-Buch). 1992 erzählte mir in Staufen ein junger Koch, Thorsten, ein Erlebnis.

IMG_2465Im Compound in Saudi-Arabien mit einem Freund. Der Freund ging, und um drei Uhr morgens fing Thorsten plötzlich stark an zu schwitzen, bis er entschloss, sich im Swimming-Pool zu erfrischen. Dort lag sein Freund im Wasser, und Thorsten konnte ihn gerade noch retten. 

Außersinnliche Wahrnehmung, übersetzt in eine körperliche Empfindung, damit der Freund gerettet werden konnte! Bisweilen treten jedoch eigenartige Empfindungen auf, die man sich nicht erklären kann. Vielleicht soll einem etwas gezeigt werden, zeigt man sich etwas selbst?

8.6.1993: In »Schamanismus« von Mircea Eliade gelesen. Die Schamanen werden krank und helfen oder weissagen dann … als ich heimfuhr, fröstelte mich, ich hatte Kopfschmerzen, fühlte mich wie zerschlagen, legte mich hin; dann ein Traum wie ein rasender Wirbel, ich wollte jemandem helfen, tanzte, schleuderte etwas umher … Als wollte mir meine Psyche zeigen: Schau her, das ist etwas, das du weißt. Du kannst das auch.

Und dann noch:

9.11.2010: Seit Rolf und ich am vergangenen Freitag über »Krieg und Frieden« sprachen, … dachte ich plötzlich mehrmals an Swetlana Geier (87), die in Freiburg lebt. Ich wollte Sonntagabend einen Krimi (Polizeiruf 110) ansehen, bereitete mir Gemüse vor, ein Abendessen, und plötzlich, aus heiterem Himmel, ein böser Stich in die rechte Augenbraue, ein intensiver Schmerz, vergleichbar mit dem damals, als die Maschine auf dem Flug nach Chile über den Anden in den Sinkflug ging. Ich wusste, dass es nichts Organisches war und dachte mir nur: Das bedeutet etwas. — Nun ist Swetlana Geier Sonntagabend in ihrem Haus in Freiburg gestorben.

Welche Verbindung gab es zwischen uns? Ich dachte jedenfalls spontan, das habe mit ihr zu tun. Der Körper reagiert auf etwas, das von außen kommt, und wenn es da nichts Konkretes gibt (und ein Virus auszuschließen ist), kann man spekulieren oder abwarten, ob sich die Sache klärt. Ach, wie interessant ist das alles!

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.