Theater in Österreich
In Österreich haben wir drei Abende mit großer Kunst erlebt: Maria Stuart im Burgtheater Wien, die Cavalleria Rusticana und Pagliaccio sowie Die Fledermaus, beides in Linz. In einer Woche sahen wir also das, was ich sonst in fünf Jahren sehe, denn ich bin ja träge, obwohl in Freiburg und Basel wahrscheinlich auch viel geboten ist. Will euch nicht langweilen, darum nur ein kurzer Bericht.
Maria Stuart ist ein Stück von Friedrich Schiller, das vor mehr als 200 Jahren uraufgeführt wurde. Maria, die Königin von Schottland, sitzt im Londoner Tower in Haft, und alles dreht sich um die Frage: Soll man sie hinrichten oder nicht? Es tritt der integre Shrewsbury auf, der Gute, der es jedoch mit ein paar hinterlistigen Politikern zu tun hat, die ihr eigenes Spiel spielen, und Elisabeth, die englische Königin, weiß nicht so recht, was sie will … und spielt dann ihr eigenes Spiel.
Verwegene Inszenierung: Wir sehen 24 nackte Männer, die schön regelmäßig hintereinander in Vierer-Gruppen stehen und ihre Hinterteile präsentieren, und die Schauspieler (die mit Text) bewegen sich um die Nackten herum wie um Slalomstangen. So ist die Bühne schön voll, und die menschlichen Slalomstangen stehen brav und eisern da … Unvergesslich die Szene, wenn die 24 Männer Kreuze in der Hand halten und im auftretenden Nebel langsam Königin Maria, deren Hinrichtung sich nähert, in den Hintergrund abdrängen. Im Gedächtni bleiben auch die Bilder, wie Maria in Weiß hingestreckt daliegt oder Elisabeth im knallroten Gewand aufrecht steht wie eine Statue.
Heute will man sich nicht mehr nur auf den Text verlassen, da wir alle mit bewegten Bldern leben; man braucht visuelle Einfälle und Attraktionen, um die Zuschauer zu fesseln. Schön war auch das Licht, das an einem Pendel hin- und herschwang.
Die Cavalleria Rusticana ist eine Oper von Pietro Mascagni nach einem Stück des Sizilianers Verga. Turiddu hat seine Partnerin Santuzza sitzenlassen, um sich mit Lola abzugeben, die allerdings zu Alfio gehört. In der Kirche wird das Osterfest gefeiert, und Alfio erfährt durch Santuzza, dass er von Turiddu »gehörnt«, also hintergangen wurde. Santuzza wird auch Santa genannt, die »Heilige«, und der Name Turiddu kommt von Salvatore, dem Retter oder Heiland. Es ist Ostern, und das Lamm, das immer wieder vorbeigetragen wird, erinnert an Turiddu, der dem Tod entgegensieht, denn Alfio schwört Rache. … Turiddu verabschiedet sich mit einer Arie pathetisch von seiner Mutter: »Segne mich, Mamma, wie damals, als ich in den Krieg zog. Vielleicht komme ich nicht zurück.« (Wir sehen das hier, gesungen von Franco Corelli, tanto tempo fa.) Ach, das ist wirklich ergreifend, und ich war natürlich ergriffen, und bald wankt Turiddu, von einem Messer getroffen, blutend vorbei. Finale.
Da diese Oper kurz ist, spielt man sie gern mit dem Pagliaccio, ebenfalls einem Einakter. Auch da geht es um Ehebruch und um Eifersucht, und so genau habe ich nicht verstanden, wer da mit wem und warum … Die Geschichte spielt »auf dem Theater«, der Pagliaccio (oder bei uns Bajazzo) ist der traurige Clown, und ein Stück wird aufgeführt. Das ist gut gemacht: Auf der linken Seite der Bühne sehen wir die Schauspieler, rechts die Zuschauer, und als der Clown links die Pistole hebt und schießt, fällt rechts ein Zuschauer tot um: der, der die Frau des Clowns besuchte. Wir, die Zuschauer im Theater, hatten nochmal Glück.
Würden nur immer die Nebenbuhler sich gegenseitig umbringen! Aber in Italien gilt oft die Frau als die Schuldige und wird vom eifersüchtigen Mann getötet. Schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden wurde eine Frau, die »untreu« geworden war, gefoltert und hingerichtet, während ihr Lienhaber anscheinend ungeschoren davonkam.
Die Fledermaus ist eine der meist gespielten Operetten, und sie enthält einige der berühmtesten Walzer von Johann Strauss dem Sohn. 1874 wurde sie uraufgeführt. Man ist verwundert, wie ein Nichts an Handlung in der ersten Stunde mit derart schönen Melodien garniert werden kann. Zur Ouvertüre kommen gleich Tänzer zum Einsatz, die Kleider anprobieren, und schon steckt man mitten drin, und später, als Prinz Orlofsky auftritt, beginnt das Fest, und Olga zeigt ihr rotes Kleid mit dem weit ausgestellten Rock und ihre Freundin ihr gelbes, und alle tanzen und tirillieren, alles in Bewegung, eine Augenweide ist das und ein Rausch in Farbe, und wie gleitend und gleißend sie auf und ab paradieren! In Worten ist das nicht zu schildern, es ist einfach zu schön. (Hier: die Ouvertüre. Nachdem wir Wick Vaporub und Lenor überstanden haben.)
Und immer wieder ist es phänomenal, wenn zu Beginn alles still wird und die Ouvertüre anhebt; wenn sich dann der Vorhang hebt und wir die ersten Arien erleben … Es ist immer, als sähen wir der Erschaffung der Welt zu. Die Welt auf der Bühne wird zu unserer Welt, wir vergessen uns, sind außer uns, sind mit dort auf der Bühne und zwei Stunden wie verwandelt. Dann schlüpfen wir wieder in unser altes Ich zurück, schade eigentlich, denn so sollte man leben: wie auf der Bühne!