Rückkehr ins Leben (17): Ich weiß, dass du weißt …
Der exakte Titel eines italienischen Films, den Alberto Sordi 1982 gedreht hat und in dem er auch die Hauptrolle spielte, lautet Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß. Bedeutet nichts, klingt aber gut. Sordi war humoristisch veranlagt, doch der Film hat auch Tiefe. Ich habe ihn mir eigentlich wegen Monica Vittis angeschaut.
Monica Vitti hat mir in dem Film Teresa la ladra (1973) gefallen. Zehn Jahre später war sie 51, aber immer noch sehr schön. 1931 geboren, wurde sie in den 1960-er Jahren zu einer der bekanntesten italienischen Schauspielerinnen. Roberto Rossellini gab ihr wichtige Rollen. Die letzten 40 Jahre ihres Lebens — sie starb vor zwei Jahren, mit 91 — verbrachte sie mit ihrem Mann Roberto Russo, der 16 Jahre jünger war als sie. Sie ist unsterblich (durch ihre Filme), und wir sind es auch; ohne Filme.
Sordi spielt in dem Film den höheren Bankbeamten Fabio Bonetti in Rom. Livia, seine Frau, ruft ihn aufgeregt an und appelliert: »Fabio, komm doch in unser Landhaus, ach, wir könnten uns mal wieder lieben, ich weiß gar nicht mehr, wie das geht, das Leben ist kurz, facciamo amore, ti prego!« So etwas zu sagen, war in den 1980-er Jahren plötzlich möglich, Erotik und drüber reden war nicht mehr tabu.
Fabio windet sich und hat keine Lust, weil er das Fußballspiel zwischen Rom und Catanzaro sehen möchte, und er beendet rasch das Gespräch. Dann verwickelt sich die Handlung. Ein Privatdetektiv scheint Livia beobachtet zu haben (er verwechselte sie mit einer anderen Frau), und so ist ein Koffer voll mit Filmen über Livias Treiben entstanden. Sie kauft ihn den Detektiven ab, Fabio findet ihn und nimmt ihn ins Landhaus mit und zieht sich die Filme rein.
Und diese Stunden im Landhaus werden ihm zu einer Erleuchtung: Er sieht, dass er ein liebloser Vater und Ehemann war, der von nichts eine Ahnung hatte. Die Filme folgen Livia — und spielen die Rolle von Dokumenten, was früher in Romanen Briefe waren und es in Krimis Zeugenaussagen, Fotos oder Handy-Nachrichten sind. Vergangenheit wird rekonstruiert. Die Filmvorführung ähnelt dem Lebensrückblick bei Nahtod-Erfahrungen. Einsicht entsteht.
So erfährt Fabio Bonetti, dass seine Tochter drogensüchtig ist und dass ihre Mutter davon wusste. Er erfährt, dass Livia durch ein Röntgenbild befürchten musste, unheilbar krank zu sein. Und er darf zusehen, wie ihr ein Assistent mitteilt, es sei ein Irrtum: Sie sei völlig gesund. »Ich lebe!« jubelt Fabio. Er fühlt sich gerettet. Und das ist auch Livias Rückkehr ins Leben! Sie ruft (rief damals) glücklich Fabio an und beschwört ihn; es ist der erwähnte Telefonanruf, mit dem der Film beginnt. Das ist die zentrale Szene (im Film, der leider nur auf Italienisch ist, ab Minute 1:34,30. Sehenswert!) Monica strahlt und ist dabei überirdisch schön, als sie so um ihren Mann wirbt:
Ich bin überglücklich! Ich hätte riesige Lust, mit dir Sex zu haben. Hör zu: Nimm dir drei Tage Urlaub und komm zu mir in unser Landhaus. — Keine Heizung? — Mach dir keine Sorgen, wenn wir im Bett sind, wärme ich dich. Du wirst sehen, das wird schön! Was sagst du? Sag mir sofort, ob du mich begehrst, ob du Sex mit mir haben willst! Ich habe verstanden, dass das Leben kurz ist, man muss es genießen, jeden Augenblick davon. Warum etwas auf morgen verschieben? — Das Fußballspiel? — Seit tausend Jahren haben wir keinen Sex mehr, ich habe fast schon vergessen, wie das geht …
Fabio sieht das und sagt sich: »Was für ein Idiot ich bin! Roma—Catanzaro …« Auch für ihn gibt es nun eine Rückkehr in ein wahreres Leben: Er sieht ein, dass Livia, neben der er achtlos hergelebt hat, ihm alles bedeutet.
Doch Alberto Sordi (in seiner Rolle als Fabio) ist auch Italiener. Darum leidet er mehr als unter seiner damaligen Zurückweisung darunter, dass die glückliche Livia die Nacht mit einem jungen Mann verbrachte, eben dem Assistenten des Röntgeninstituts. Recht geschieht das Fabio! (Für ihn ist es die Hölle. Doch Livia soll gesagt haben, es bedeute nichts. Das ist das Schöne an den 1980-er Jahren: eine vorsichtige Offenheit. Sogar eine Frau darf mal einen Seitensprung tun!!)
Am Ende essen Livia und Fabio Spaghetti, reden pausenlos und wollen gemeinsam ausgehen. Die Tochter ist von ihrer Sucht losgekommen und geht mit einem »anständigen« jungen Mann aus. Tutto in regola, che gioia! Wir freuen uns mit allen ins Leben Zurückgekehrten!