Das Reitturnier
Vor zwei Wochen war das alljährliche Turnier auf dem Reiterhof meiner Hausärztin, Frau Dr. Kaltenbach. Es ist ein Ereignis in Ballrechten-Dottingen, und ich war Sonntagnachmittag dort und gerade rechtzeitig, um ein veritables Springen über Hindernisse mitzukriegen, an dem sicher 30 Reiterinnen und Reiter mit ihren Pferden teilnahmen.
Am Tag vorher hatte ich einen Mann an der Straße aufgelesen und im Auto mitgenommen (seine Vespa war stehengeblieben), ich erwähnte das Turnier, und er meinte, es sei einfach so, man müsse den Pferden seinen Willen aufzwingen. War ja bei Karl May schon so. Zwingt Old Shatterhand sein Edelpferd Rih (Wind auf Arabisch) nicht in die Knie, bis ihm der Schweiß auf den Flanken steht? Damit hatte er gewonnen. Rih war ihm untertan. Manche Männer meinen auch heute noch, man müsse das mit Frauen so machen.
Dann das Reitturnier. Ich erinnerte mich an die Stunden im Keller, als ich, das Kind, aus Langeweile die ARD-Sportschau anschaute von vorn bis hinten, alles, und da war auch Dressurreiten und Springreiten dabei (heute ist das wohl verschwunden), und ich kannte mich aus: Wassergraben, gerissen, der Oxer. – Das Turnier war vorbei. Ein junger Reiter hatte gewonnen. Er war wirklich schnell.
Da stand in Paar, das ich kannte: meine Zahnärzte. Wir plauderten. Ja, das Reiten sei eine Domäne der Frauen. Aber komisch, wenn es in den Hochleistungssport geht, sind nur noch Männer zu sehen. Meine Zahnärztin sagte, sie sei ihr halbes Leben geritten, und so leid ihr es tue, das sagen zu müssen: Die meisten Pferde hätten bei diesem Turnier nicht wegen, sondern trotz ihrer Reiter die Hindernisse überquert. Sie hätte es gesehen und würde sagen: 90 Prozent der Reiterinnen und Reiter hätten ihre Pferde hart behandelt und versucht, sie gefügig zu machen. Macht euch die Erde untertan.
Natürlich geht es um den Preis. Die Reiter haben mehrere Pferde und wollen gewinnen. Da geht es nicht um Schönheit oder eine esoterische »Einheit mit dem Tier«. Wenn es das Pferd nicht bringt, nimmt man ein anderes. Aber ich fand die Aussage interessant. Leistungssport ist immer verkehrt. Aber man könnte sagen, der Ritt über die Hindernisse wäre harmonischer und würde vielleicht viel schneller und besser verlaufen, wenn die Menschen ihr Tier respektieren würden. Es ist ja ein Tier und wichtiger als das kleine Wesen auf ihrem Rücken; es ist kein Gerät!
Dann ging ich noch in die Koppel. Da stehen die Pferde, riesengroß, und sie haben auch riesengroße klare Augen. Es sind wunderbare Tiere, und sie sind sehr sensibel. Natürlich wollen sie etwas Führung. Wenn der Mensch obendrauf nichts tut, bewegen sie sich auch nicht. Der Reiter und die Reiterin müssen die Bewegung anregen, sie unterhalten und unterstützen.
»Hast du nie jemanden ein Pferd reiten sehen? Bei einem guten Reiter mag das Pferd nach Osten oder Westen galoppieren – das Herz des Reiters ist ruhig und ausgeglichen, seine Erscheinung ist ruhig und unbewegt. Für den Zuschauer erscheinen Pferd und Reiter wie aus einem Guss. (…) Das Pferd vergisst den Menschen, und der Mensch vergisst das Pferd, sie bilden eine geistige Einheit und sind nicht mehr voneinander geschieden. Man könnte dazu auch sagen, ›im Sattel kein Reiter und unterm Sattel kein Pferd‹.«
(Shissai Chozan, Tengu-geijutsu-ron, Die Kunst, das Schwert zu führen, 18. Jhdrt.)