Die 12 Apostoli
Die »12 Apostoli« heißt eine Ausfahrt über 12 Hügel mit Start in Rorbas nördlich von Zürich ―100 Kilometer und 2000 Höhenmeter. Wer gerne Rennrad fährt, für den ist das Religion; da liegen die Apostel als Benennung nahe. Vergangenen Samstag rollten die rund 50 Teilnehmer erschöpft in das Rund der Offenen Rennbahn Oerlikon ein, zum Jubiläum deren 100. Geburtstags. Ich schaute zu. Warum war ich nicht dabei?
Ich war am Vortag in unmittelbarer Nähe der Rennbahn (böse Ironie) mit meinem schönen alten Fahrrad aus den 1950-er Jahren gestürzt. War eine abschüssige Strecke hinunter gefahren, exakt zwischen den Tramschienen, und alles schien gut. Doch dann geriet ich schlagartig in eine plötzlich aufgetauchte Schiene, wurde nach rechts abgelenkt und bei voller Fahrt abgeworfen. Zum Glück prellte ich mir nur die Schulter.
Seltsam ist nur: Ich habe mir am Samstag die Stelle noch einmal angeschaut und sehe nicht, in welche Schiene ich geraten sein könnte! Eine Einmündung gibt es, aber von rechts hinten nach links; wäre ich da hineingeraten, wäre ich nach links gestürzt. Ein völlig rätselhafter Sturz, bedingt durch eine Phantom-Tramschiene. Wo liegt die Botschaft? Ich weiß es nicht. Gottes Wege sind unergründlich.
Es ist natürlich immer niederschmetternd. Es geht so schnell. O nein (das kann man nicht mal denken), und dann kracht man schon auf den Boden und überschlägt sich; steht rasch wieder auf, überprüft sein Rad (das ist immer in Ordnung) und fährt heim. Der Schock kommt später. Wenn man nicht aufsteht, sondern über seinem Körper schwebt, der da unten liegt, dann weiß man: Das war’s, Leute.
Die Amerikanerin Jenny Cockell, die sich an frühere Leben erinnern konnte, erzählte in einem Buch von ihrem vorletzten Tod: Sie sei etwa zwei Meter oberhalb ihres Körpers geschwebt, eher leicht rechts versetzt, dann habe sie etwas nach hinten in einen Tunnel angesaugt, und sie sei in einem Gebiet mit Lichtsäulen gelandet. Wenn man das Bewusstsein verliert (wie ich zwei Mal nach einem klaustrophobischen Panikanfall), wacht man meistens wieder im Diesseits auf. Viele Geister sind bei Séancen gefragt worden: Wie war es denn, wie bist du hinübergegangen? Daraus ließe sich eine Serie Wie ich starb machen.
Im März dieses Jahres überließ mir jemand einen Joint, ich zog kräftig daran; das war ganz okay, dann fing mein Herz schneller zu schlagen an, und ich musste mich auf den Fußboden legen. Dann war nichts mehr, doch irgendwann eine rot-orange Fläche weit über mir. Sie war einfach da; ich hatte nicht einmal das Konzept „ich“, das diese Fläche sah; es war wie ein Ornament aus dem tibetischen Totenbuch, der rote Gott Amithaba; erst langsam wurde mir wieder klar, dass ich es wieder war, der das wahrnahm. Dann erholte ich mich schnell wieder.
Das sind nur Schlaglichter. Ich willl niemandem Angst machen, aber man muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es auf irgendeine Weise zu Ende gehen wird. Und wenn es soweit ist, sollte man nicht die Augen verschließen, sondern sie weit auftun, denn dann gibt es viel zu lernen.
Die 100-Jahr-Feier der Rennbahn Oerlikon war am Samstag dann recht schön. Ich sah Rennen von Schrittmachern und Stehern dahinter, hörte aus dem Zelt ein Platzkonzert und unterhielt mich mit dem 70-jährigen René aus Lenzburg, der schon einmal mit Oskar Plattner gesprochen hat und Straßenradsport betrieb. Hier ist noch ein Bild: die Rennbahn früher.
Die Radrennbahn Zürich-Oerlikon bei einem Rennen 1930 (aus dem Bildband Rennbahn Oerlikon, 2012. Hg.: Peter Schnyder)