Das Jahrhundertrennen (9)
Ja, die Museumsbesuche! Sieben Jahre später sah ich eher zufällig auf mein Epos und fand, dass die Museumsbesuche fehlten! Auch die Hauptversammmlung gab’s nicht, die schicke ich (für) morgen. Ich habe sie also nachgereicht. Anscheinend hat kaum jemand das Werk gelsesen, es war zu befürchten. Trotzdem hat die Arbeit daran Spaß gemacht.
Landesmuseum
Im Schlosspark sieht es aus wie in einem Heereslager,
vielleicht wie damals vor der bürgerlichen Revolution
anno achtzehnhundertachtundvierzig; Karlsruhe war bedroht, mager
fiel aus das Resultat, doch eine Warnung für den Adel war es schon!
Die Hochräder, die an den Rändern grüner Wiesen aufgerichtet,
und auch an weißen Statuen lehnen, geben historisches Gepräge.
Als dann Franzosen gegen Preussen standen, wurden sie bereits gesichtet,
indessen nie in einer Schlacht, zum Manövrieren viel zu träge!
Was reden wir dauernd vom Krieg! Hier herrscht der tiefste Frieden.
Die ungestüm sonst fahren, jetzt rasten, ruhen oder schnarchen,
reden im Schlaf und lächeln, da ihnen grad ein schöner Traum beschieden.
Zwar sieht es wild aus auf den Flächen, wie bei den Chaoten, den Anarchen,
indessen sie die Sonne aus der Ferne stumm belächelt,
der Kies unter den Schritten wen‘ger Gäste leise knirscht,
ein Wind, kaum wahrnehmbar, sie sanft befächelt
und um die abgestellten Räder der Trupp Polizisten pirscht.
Um fünf vor vier steht auf der Treppe Gottlieb Stellmach mit seinem Akkordeon.
Spielt flott und unüberhörbar den Radetzkymarsch,
dass es Karl Wilhelm, wenn er noch lebte, werfen würde von dem Thron.
Es ruft der Musikant: „Steht auf, ihre Leute, hebt nun euren Arsch!“
(Das ist vulgär, zum Glück versteh’n‘s nicht alle.)
Als ging es zum Gericht, dem Jüngsten, springen viele Schläfer auf
Und andere erheben sich verschlafen zu des Engels Schalle,
ergreifen ihr Gepäck, klopfen die Kleider aus, setzen die Mütze auf.
Vor dem Treppenaufgang, präzise an der ersten Stufe Kante,
haben sich drei Männer aufgebaut, Standschilder in Händen,
und drauf steht statt „Hölle“, „Fegefeuer“, „Paradies“ wie bei Herrn Dante,
„Friedhof“, „Verkehrsmuseum“, „ZKM“, damit hat’s sein Bewenden,
denn Nummer vier, sagte man sich, erspar ich mir, das ist ja hier!
Die Radler holen brav ihre Geräte und schieben sie zu ihrem Schild.
Und je ein Mann steigt auf sein Mountainbike, ruft „Folget mir!“
Gemächlich setzt sich in Bewegung jeder Zug, gesammelt und nicht wild.
Nach links und rechts und hinten, weg vom Schloss, fahrn sie hinfort.
Die Polizisten suchen ihre Autos auf, sie geben später das Geleit.
Nur fünfunddreißig, die hier badische Geschichte wollten, sind noch vor Ort
Und schauen sehnsüchtig den wegrollenden Zügen nach, noch lange Zeit.
Dann schaun sie in die Säle rein, es führt sie gar die Direktorin.
Das Badische Landesmuseum. Hundert Jahre nach dem Drais-Patent,
war Schluss mit Schloss und Großherzog, der die Großherzogin
mitnahm, und mit der Adelsherrschaft war’s zu End.
Um neunzehnhundertfünfzig stimmten alle ab in Baden,
dem stolzen Land am Rhein, politisch zwar ein Zwerg,
damit es unabhängig bliebe, doch es ging schief, das war ein Schaden
(woran Stuttgart nicht schuldlos war), es kam zu Baden-Württemberg.
In den hohen Hallen sehen wir die meisten Hochradrecken,
die sich für Hochkultur begeistern, die Frühzeit nicht verschmähen,
und dazu viele ältere Semester, die neugierig entdecken
Gefäße, Werkzeug, Schmuck, Waffen, Möbel, und sie sähen
gern ein Rad, das zwar zur Römerzeit noch nicht erfunden,
doch hier sehr sinnvoll wäre zum Transport,
denn weit sind alle Wege, und mehr als zwei Stunden
wandern sie, hinauf, hinab, von Saal zu Raum, von hier nach dort.
Die Türkenbeute ist berühmt. Etrusker, Sizilianer
haben, ohne es gewollt zu haben, beigesteuert Exponate,
Adelige, Bürger, Bauern, Reformatoren, Ketzer, Mahner
Sind abgebildet, und man sieht Befehle und Traktate.
Reitzeug und alles Relevante für die Rüstung
gibt’s reichlich in der Wunderkammer,
Waffen für Feuer, Hieb und Stich, für jegliche Verwüstung
sowie Dolch, Schwert, Axt, Hellebarde und den guten alten Hammer.
Die Toten trug zu Grabe man, die Häuser wurden wieder aufgestellt,
Kirchen gebaut, und zu bewundern ist ein echtes Kirchportal.
Mit Möbeln und mit Porzellan garnierte man im Innern diese neue Welt,
Insignien und Bildnisse, und dann kam Karlsruhe – und noch ein Saal!
Die Direktorin spricht, erklärt, ist frisch wie zu Beginn,
entlässt die Radler dann am Haupteingang, man schließt,
es ist nun sechs, ach Baden, der Besuch war ein Gewinn!
Nun radeln; raus zum Camping, Freude man aus den Gesichtern liest.
ZKM
Trupp zwei ist leicht nach Westen abgeschwenkt,
erreicht das ZKM, das angesiedelt in einer alten Fabrik,
errichtet wieder hundert Jahre nach dem Drais-Patent, bedenkt:
als Großherzogs das Schloss verließen und zu Ende war der erste Große Krieg.
Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie ist arriviert.
Man spricht dortselbst von raumbasierten Künsten: Fotografie und Malerei,
und zeitbasierten ― Tanz, Musik ― und gibt sich höchst ambitioniert,
hat Institute und Labors und denkt, dass Kunst entsteht aus digitalem Datenbrei.
Das elektronische und digitale Bauhaus, das „Mekka der Medienkünste“
hat man die Institution genannt, so wolkig-überirdisch gibt sich die Moderne,
doch irgendwie mit Inhalten muss füllen man verbale Dünste,
und raus kommt Kunst, die einen anblickt aus abstrakt-modernen Ferne.
Unter den Besuchern ist natürlich Anne Savognin
sowie sind es die jüngeren, die mit ihren Kostümen
die anderen Museumsgäste reißen zu Begeisterung hin.
Ist Karneval? Ist es gar Kunst? Toll ist das ZKM, man kann es rühmen.
Hier geht es nicht um alte Räder: „Es geht um die Innovation“,
die ja das Laufrad vor zweihundert Jahren einmal war, und
„Forschung, Produktion, Vermittlung, Dokumentation“,
die Worte kommen grad wie Kugeln aus des Leiters Mund.
„Wir können so auf die schnellen Entwicklungen
der Informationstechnologien und auch den Wandel der Sozialstruktur
reagieren adäquat, doch gibt‘s … im Kognitiven auch Verwicklungen,
so stört das nicht, es eher befruchtet, gehört wohl zur Kultur.“
Darauf gibt’s schwerlich was zu sagen. Die Veteranenradler schweigen.
Klar, dass in diesem Tempel der Moderne man sie nicht durch alle Hallen
führt; der einzelne ist frei, dem Weg zu folgen, der ihm eigen,
mag stromern, schlendern, ausprobieren, was ihm will gefallen,
„Wir treffen uns dann wieder, nicht später als um sechs“, das sagt
der Referent, der sich verabschiedet und schleunigst dann entschwindet.
Die vierzig Teilnehmer zerstreuen sich, gehen auf Abenteuerjagd
in virtuellen-digitalen Realitäten, und warten, was man da empfindet.
Das lassen wir sie alles tun, es ist individuell und fast beliebig.
Installationen öffnen sich nicht jedem, manches braucht Gewöhnung,
wie einst das Laufrad von Carl Drais, dem Innovator, der, umtriebig
damit herumfuhr. Er erntete viel Spott und Wut, doch später ward Versöhnung.
Verkehrsmuseum
Wie man im Verkehrsmuseum gut erkennt, wohin die zweite Gruppe strebt.
Peter Rogoff hat auf einem Mountain-Bike die Führung übernommen,
dazu hat ihn Sibylle überredet. „Ich will, dass ihr nun was erlebt!“
ruft er nach hinten, zu den Veteranen, die Mühe haben, nachzukommen.
Sie fahren, wie sie hergelangt, und auf der Bahnhofstraße geht es links
über eine Überführung, wo es wieder kräftig riecht,
und wirklich: unten eine Rotte Elefanten, Büffel, rings,
wohin man schaut, ist Tier um Tier, und manches stakst und manches kriecht.
Da staunt die Creme des Vereins, weniger staunen die Appenzeller,
die Kühe oder Geißen sind gewöhnt, wenn sie durch Gonten
radeln oder durch Rehetobel, und sie hören dort auch viele Beller
von Hofhunden, und hoch am Himmel manchen Adler sie erspähen konnten.
Schön geschlossen wirkt der Zug der Radler, klappernd und begleitet
vom blauem Blinklicht unsrer Polizei und spärlichem Applaus.
Vorn Rogoff, dem es sichtlich Spaß macht, und der reitet
stolz in die Werderstraße ein. Klinkerbauten, Bänke. Ein Patrizierhaus.
Bäume. Wirkt wie ein Viertel von Studenten, Assistenten und Dozenten,
mit kleinen Supermärkten und gemütlichen Cafés. Die breite Straße
erlaubt ein Fahren nebenher, ein Plaudern mit den Residenten.
Der Führer macht sich‘s einfach, folgt stets seiner Nase,
biegt links scharf dann in einen Hofeingang hinein.
Absitzen! Auch hier erwartet unsre Recken ein Museumsleiter.
Er sagt: „Ich bin geehrt. Museum ist recht klein,
die Treppe hoch, dann links. Im Keller geht es weiter.“
In einem Saal mit abgeschabtem Boden, bescheint von Neonröhren,
gestützt von vielen Säulen, war wohl eine Fabrik, stehn rechts Automobile,
vorzüglich schwarz, die Fahrradfreunde auch betören.
Sie stehen dicht an dicht, es sind sehr viele:
Ein neuerer Mercedes-Benz, mit dem ein Bürgermeister fuhr einmal;
ein Opel Admiral, rot, bullig, sichtlich Vorkriegskleid;
das Modell T von Ford, gebaut fünfzehn Millionen Mal;
der BMW fünfhundertzwo, Barockengel aus Nachkriegszeit.
In einem Raum dahinter endlich Bilder, Transparente
Zum Fahrrad: Drais und seine Zeitgenossen, ein schönes NSU-Modell,
im Keller kleine Autos, drunter selbstverständlich eine Ente,
ein DKW F elf, der Auto Union tausend, Borgward Isabell‘,
der Messerschmitt Kabinenroller, und der Wankel, legendär.
Im ersten Stock das, worauf gewartet worden war:
das Laufrad des Herrn Drais. Hat als Bewacher hundert Motorräder.
Da steht das Ding, mit Bildern schön erklärt, zum Anfassen. Ach, wunderbar!
Man pilgert, kommentiert und staunt, man paradiert ergriffen
und endet oben, bei den Eisenbahnen, im Modell.
„Die Sammlung scheint mir höchst geschliffen“,
sagt,, oben angekommen, der Veteranenpräsident recht schnell.
„Mir liegt nun ob, den Rundgang abzuschließen.
Wir danken, und die Spitzen des Vereins ziehn sich zurück
In den Versammlungssaal, wie abgemacht, Statuten zu beschließen
Und Wahlen abzuhalten. Wünscht uns dazu viel Glück!“
Also die Hauptversammlung, das wird Teil 10.