Weitergedacht … Jethro Tull und Tony

Noch einmal etwas zu Anthony Bourdain; dann soll es aber gut sein. Als ich Ende des vergangenen Jahres jeden Abend zwei Folgen von Parts Unknown anschaute, blieben viele seier Aussagen hängen. Einmal ereiferte er sich über Jethro Tull und meinte, er hasse dieses englische Rumgemache, diese Minstrel-Attitüde. Aqualung!

Provokationen treffen manchmal ins Schwarze. Tony war immer ehrlich und neigte zu harten Urteilen. Vor zwei Jahren sah ich Ian Anderson live in Bad Krozingen, und er nervte mich mit seiner Arroganz. Dieses Jahr wird er wieder auftreten; ohne mich. Überhaupt: Dass diese Leute nicht davor zurückschrecken, ihre alten Hits, diese alten Kamellen, genadenlos 50 Jahre lang auf den Bühnen dieser Welt zu repetieren, ist eigentlich schamlos. Wir haben Jethro Tull zwar immer geliebt – aber vielleicht sind wir da dem Kommerz ins Netz gegangen. Tull war eigentlich alter Wein in neuen Schläuchen, garniert mit viel Choreographie und Selbstironie. Es waren alte Harmonien, gespielt mit elektronisch verstärkten Instrumenten.

Ich als Leadsänger an meinem 50. Geburtstag in Landsberg am Lech. Hinten Cousin Reinhard als Drummer

Die Rockmusik sollte sich ja, als sie endlich arriviert war, verkaufen. Wir spielten mit und waren konservativ beziehungsweise reaktionär wie die Schlager- und Volksmusik-Freunde. Was von unserem Stil abwich, mochten wir nicht. Es sollte knallhart sein, aber doch melodisch, mit Anfang und harmonischem Ende (Adorno bemerkte einmal so scharfsinnig, dass auch moderne Stücke konventionell aufgebaut seien. Da orientieren sich alle am Mainstream. So schreibt man einen Hit.) Wir merkten nicht, dass wir vielleicht manipuliert wurden. Rockmusik war dennoch zu Beginn progressiv, bevor sie endlich in Kaufhäusern und Formatradios rauf- und runtergespielt wurde. Jetzt ist sie eigentlich abgenudelt. Zuviel Geld zerstört die Impulse. Punk (Anfang der 1980-er Jahre, England) haben wir nur am Rand mitgekriegt und ignoriert, und Grunge (Anfang der 1990-er, Seattle) genauso. Elektronische Musik (außer Kraftwerk) wurde eben so toleriert.

Dennoch war ich immer offen für Neues, und wenn ich Metal höre, begeistert mich das. Auch House ist auch etwas für mich. Nur die Rapper kann ich nicht leiden. Ich meine nur, als kulturverändernde Kraft hat Rockmusik versagt, sie hat sich verkauft, und was die Leute, die zu Jethro-Tull-Konzerten eilen, sich davon erwarten, das frage ich mich.

Ach, und dann rege ich mich über Bourdain auf. Es ist ja schon 7 Jahre her, aber Millionen haben ihn geliebt. Er reiste durch die Welt, hatte wunderbare Begegnungen, war hungrig aufs Leben – und dann warf er es weg wegen einer Liebesenttäuschung, wie doof! (Klar, er war ein düsterer Mensch mit düsteren Gedanken, und manche bringen damit ihr Leben zu, doch manch einer nimmt sich das Leben, weil es plötzlich eine Blockade gibt.) Alles, was er getan hatte und noch tun hätte können, war verpufft angesichts dieser Verzweiflung. Der Tunnelblick ohne Licht am Ende! Wie furchtbar.

Auch Eva Evans, die sich am 20. April vergangenen Jahres mit 29 Jahren tötete, hatte alles: 300.000 Follower und eine glänzende Zukunft vor sich. Dies alles konnte sie nicht mehr sehen. Weil ihr blöder Partner sie betrog. Menschen sind fehlbar; auf sie zu bauen heißt, auf Sand zu bauen. Man hält Leidenschaft ja für bewundernswert: wenn jemand (wie Bourdain) sich 100-prozentig engagiert. Doch damit macht man sich extrem verwundbar. Wer zu stark liebt, verliert sich. Ein Risiko mit ungewissem Ausgang.

Gott kann man unendlich lieben, denn er liebt  uns genauso, doch dafür braucht es viel Vorstellungskraft und Willen. Vielleicht aber hat die Meinung der  Buddhisten etwas für sich, die sagen, man solle sich von Anhaftungen befreien und sein Ego kleinhalten. Dazwischen und dem leidenschaftlichen Aufgehen im Anderen muss es doch noch etwas geben! Leben ist schwierig und lieben auch, wir wissen es.

Wenn ihr nicht mehr wisst, wie es weitergehen kann, redet mit jemandem! Verlasst euren Kokon, geht hinaus; am schlimmsten ist es, nur noch auf sein Smartphone zu starren und davon sein Heil zu erwarten. Schmeißt es weg und erzählt einer Freundin euren Kummer! Es muss sich nur ein kleines Fenster öffnen, dann seid ihr gerettet und werdet euch freuen, dass es noch einmal gutgegangen ist. 

 

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