Sélestat

In der Renaissance, über die ich ja bei Burckhardt gelesen habe, war Sélestat eine wichtige Stadt. Sie hatte eine große humanistische Bibliothek und besitzt sie heute noch. Sélestat liegt 40 Kilometer südlich von Straßburg und 40 nordwestlich von Freiburg. Ohne etwas darüber zu wissen, wollte ich einmal hinfahren, damit mir die Stadt etwas sagt. Ein paar Bilder im Kopf haben wollte ich.

Ich nahm den Zug nach Orschweier südlich von Lahr (das sollte man im August nicht tun, die Fahrradabteile sind voll). Ich trug mein leichtes Rennrad hoch ins Mezzanin, den Zwischenstock und schaute auf die 15 eingekeilten Räder hinunter. Die Männer reden immer von ihren Plänen und den Rädern: wie die Kinder. Die Frauen schweigen dazu. Aber man hat immer das Gefühl, sie wissen mehr.  

Bei Kappel-Grafenhausen führt eine Fähre über den Rhein, die ist in fünf Minuten drüben. Dann quer durchs stille Land, und honiggelb leuchten die Stoppelfelder, und noch mehr leuchten die runden Heuballen. Manchmal sprühen einen die Beregnungsanlagen voll.  

In Sélestat wurde gerade der Dienstags-Markt abgebaut. Von 1871 bis 1920 war die Stadt deutsch und hieß Schlettstadt. Die vieille ville (Altstadt) ist hübsch, verwinkelt und gut mit Fachwerkhäusern und altem Gemäuer ausgestattet. Irgendwo war das Schild bibliothèque humanistique. Die Institution wurde 1452 gegründet und besitzt die Werke der humanistischen Schule der Stadt aus dem 15. Jahrhundert, aber auch Inkunabeln aus dem 7., 9. und 10. Jahrhundert (eine Kleinausgabe der Stiftsbibliothek in St. Gallen, die die ältesten Schriftwerke überhaupt hat). Ein Kleinod ist die Kirche Ste. Foy aus dem 12. Jahrhundert oder so, am Jakobsweg gelegen.

Unweit davon die Kirche St. Georges, aus dem 14. Jahrhundert, das in überirdisch kühlblauem Licht schimmerte, wozu von Frauen gesungene Choräle (vom Band) erklangen.

 

Wie an jenem Dienstag, als ich durchs Jura fuhr, wurde es dunkel, und eine Wolkenfront schob sich heran. Ich fuhr schnell über Marckolsheim nach Breisach.

Der Dom zu Breisach

Dort flirtete ich an der Grenze kurz mit einer sympathischen jungen Frau, die mir kalte Getränke verkaufte. Ob ich ein homme de lettre sei? Kann man sagen. Es ist ein Adelstitel. In Frankreich zählen Literatur und Philosophie, das merkt man. Und überhaupt schwingt in der intergeschlechtlichen Kommunikation immer etwas Erotisches mit, immer wieder merke ich das. Da ist Deutschland ein armes Land.

 

Ein Kommentar zu “Sélestat”

  1. Rolf Hannes

    Lieber Manfred, Du schreibst, von 1871 bis 1920 war Sélestat deutsch und hieß Schlettstadt. Verzeih, aber viele Jahre davor war Schlettstadt eine deutsche Stadt, jahrhundertelang. Schon Karl der Große soll in dieser kleinen Pfalz Weihnachten gefeiert haben. Wahrscheinlich hieß sie damals Schleestatt oder so ähnlich (das Mittelalter kennt ja für solche Flecken dutzende Varianten). Damals wurden grüne Kränze geflochten, und nicht von ungefähr kommt wahrscheinlich der Weihnachtsbaum aus Schlettstadt. (Nicht aus Sélestat, das hat mir der Nikolaus versichert.)

    Immer sind es die bösen Deutschen, die sich das Alsace angeeignet haben. Aber es gab noch mehr böse Franzosen, die sich das Elsaß einverleibt haben. Wenn du Dich näher in Schlettstadt umschaust, wirst Du auch heute noch bemerken können wie deutsch dieses Städtchen ist, bis in die berühmte Bibliothek hinein.

    Und jetzt komme ich zu dem, was ich wirklich sagen will. Das ist alles Quark, das mit französisch und deutsch. Imgrunde sind die Leutchen dort weder Franzosen noch Deutsche, sie waren und sind Elsässer.
    Auch wenn die Amtssprache jetzt Französisch ist, und einst Deutsch oder Teutsch oder Dütsch. Übrigens haben sich die Franzosen nach 1920 genau so schofel verhalten wie die Deitschen. Wenn du deutsch gesprochen hast, also elsässisch, konntest du ins Kittchen wandern. Die „Franzosen“ sind manchmal noch um einiges schlimmer als die „Deutschen“.

    Und hör mir mit der französischen intergeschlechtlichen Kommunikation auf. So herumturteln, sich aber niemals mit Tacheles in eine Frau verlieben, so herumfranzöseln, was halte ich denn davon?

    Geh in dich, Alter und Vive La France
    Rolf